«Ich kenne viele Menschen, die schon lange denken, dass mit dem Kunsthaus Zürich nicht viel los, dass es konservativ ist. Für diese ist die Sache Bührle und der Bau mitten in der Stadt nun noch das Pünktchen auf dem i; diese ungute Mischung stösst den meisten Kulturinteressierten auf.»
Dies sind die Worte von Miriam Cahn. Nach der desaströsen Pressekonferenz vom 15. Dezember 2021 der Kunsthaus-Direktion, der Kunsthausgesellschaft und der Bührle-Stiftung, bei der die anwesende Männerriege durch Unwahrheiten und Geschichtsblindheit auffiel, nach dieser Pressekonferenz hatte Miriam Cahn genug. Sie kündigte mit einem offenen Brief an, dass sie ihre einzigartigen Bilder wieder zurückkaufen werde, die in den 1980er Jahren durch das Kunsthaus Zürich gekauft worden waren. Damals, das war die Vor-Becker-Ära, spielte das Kunsthaus Zürich noch in einer ganz anderen künstlerischen Liga. Damals hatte das Zürcher Kunsthaus noch etwas mit der Zürcher Kunst zu tun.
Heute protzt es mit rund 200 Leihgaben aus der insgesamt 600 Werke umfassenden Kunstsammlung des Schweizer Waffenfabrikanten und Waffenhändlers des nationalsozialistischen Deutschlands, Emil G. Bührle. Stadt, Kanton und die Zürcher Kunstgesellschaft liessen für die Inszenierung der rund 200 Kunstwerke eigens einen protzigen Kunsttempel am Heimplatz erbauen. Der künstlerische Wert der einzelnen Werke der Sammlung Bührle ist unbestritten und steht nicht zur Debatte. Es ist, wie ich Miriam Cahn eingangs zitiert habe, diese ungute Mischung aus Geschichtsblindheit, Mangel an historischem Bewusstsein bis hin zur Geschichtsklitterung, intransparenten Strukturen und Verträgen, intransparenten Finanzflüssen und personellen Verflechtungen und Klüngeleien sowie die komplette Abwesenheit eines künstlerischen Kompasses. Es scheint, dass in Zürich Kunst nur einen Wert aus einer vermarktungstechnischen Perspektive hat, je mehr Touristenbusse nach Zürich gekarrt werden, desto besser. Da schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul.
Die verhängnisvolle Geschichte nahm im Jahr 2005 ihren Lauf als entschieden wurde, dass neben dem Kunsthaus ein Erweiterungsbau auf dem Gelände der Turnhallen der alten Kantonsschule beim Heimplatz zu stehen kommen soll. Mit David Chipperfield engagierte man einen internationalen Architekten, der das kantonale Grundstück mit seinen alten Kastanienbäumen rücksichtslos bis an den Rand des Grundstücks bebaute. Schon früh war klar, dass dieser Erweiterungsbau ein Teil der umfangreichen Bührle-Sammlung beherbergen sollte.
Seit Oktober 2021 sind nun rund 200 Bilder, es sind hauptsächlich impressionistische Werke, als Leihgabe der Bührle-Stiftung im Kunsthaus Zürich ausgestellt. Die Herkunft der Kunstwerke ist bis heute nicht von einer unabhängigen Kommission lückenlos aufgearbeitet worden. Einzig eine In-House-Forschung durch die Besitzerin der Kunstwerke, der Bührle-Stiftung, ist bekannt. Bis heute weiss man nicht, wie viele der ausgestellten Bilder der Bührle-Sammlung den ehemaligen Besitzer*innen durch Krieg und Verfolgung durch das nationalsozialistische Deutschland geraubt, wie viele Kunstwerke auf der Flucht vor den Nazis in grösster Not verkauft werden mussten? Es stellt sich die Frage: Wie viele der ausgestellten Kunstwerke sind also als NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke gemäss der Definition der Theresienstädter Erklärung (die Schweiz hat diese unterzeichnet), einzustufen?
Mit dem systematischen Kunstraub durch das nationalsozialistische Deutschland und der systematischen Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung wurden während und nach dem Krieg enorm viele Kunstwerke auf den unkontrollierten internationalen Kunstmarkt geschwemmt. Der Rüstungsindustrielle und Nazisympathisant Emil G. Bührle baute seine Kunstsammlung ab 1936 bis Mitte der 1950er Jahre auf. Gemäss Erich Keller, Historiker und Autor des lesenswerten Buches «Das kontaminierte Museum» (Zürich 2021), kaufte E.G. Bührle zwischen 1939 und 1945, also noch während des Krieges, rund 100, zwischen 1946 bis zu seinem Tod 1956 fast 500 Kunstwerke.
Dass der historische Kontext der Sammlung (Krieg, Raub, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung), die Herkunft der Kunstwerke und die Entstehung der Sammlung vor der Abstimmung von 2012, als die Stadtzürcher*innen über den Erweiterungsbau abstimmten, kein oder nur am Rande ein Thema war, ist ein politisches und gesellschaftliches Versagen. Auch im Kantonsrat war die Provenienz der Kunstwerke kein Thema. Einzelne Exponent*innen der drei unterzeichnenden Parteien dieses Postulats hatten zwar in der Vergangenheit immer wieder auf die kriegsbelastete Geschichte des Sammlers und der Sammlung hingewiesen und mit Vorstössen Auskunft verlangt. Leider fanden diese in der Öffentlichkeit kein oder nur wenig Gehör. Einzig die Alternative Liste hatte damals die Nein-Parole zum Kunsthauserweiterungsbau beschlossen.
Was damals verpasst wurde, kann immer noch nachgeholt werden. Die Zürcher Kunstgesellschaft, die Betreiberin des Kunsthauses, muss handeln. Sie soll Geld für die Forschung zur Verfügung stellen. Der Zürcher Gemeinderat hat bereits 500’000 Franken für eine externe, unabhängige historische Erforschung des Kontextes sowie Weiterführung der Provenienzforschung der Bührle-Sammlung beschlossen. Es ist nun am Kanton Zürich, sich zusammen mit der Stadt Zürich seiner historischen Verantwortung zu stellen. Der Kanton Zürich ist mit zwei Vertreterinnen im Vorstand der Kunsthausgesellschaft vertreten. Sie sollen sich dafür einsetzen, dass die rund 200 Kunstwerke der Bührle-Stifung, die im Kunsthaus Zürich ausgestellt sind, durch ein unabhängiges, internationales und breit abgestütztes Team von Forschenden lückenlos und umfassend aufgearbeitet werden. Dabei ist auch das historische, wirtschaftliche und persönliche Umfeld der Vorbesitzer*innen und deren Kontextualisierung mit der NS-Zeit zu recherchieren, was bisher noch nicht geschehen ist.
Nur dank grossem öffentlichen Druck sind erste Schritte gemacht worden: die Vereinbarung zwischen Zürcher Kunstgesellschaft, der Betreiberin des Kunsthauses, und der Bührle-Stiftung sowie der Subventionsvertrag zwischen der Stadt Zürich und der Zürcher Kunstgesellschaft sind integral veröffentlicht worden. Transparenz herstellen ist ein wichtiger Teil bei der Aufarbeitung der Vergangenheit, genügt aber nicht. Wir müssen uns fundiert mit der Geschichte, auch mit seinen Schattenseiten, auseinandersetzen. Die Schweiz und der Kanton Zürich waren keine heilen Inseln während des Krieges, wir waren ebenso Teil dieser dunklen Ära der europäischen Geschichte. Die Provenienzforschung ist Voraussetzung dafür, um die Geschichte aufzuarbeiten. Die Schweiz anerkennt die Theresienstädter Erklärung von 2007 und die Richtlinien der Washingtoner Konferenz von 1998. Dies sind Grundlagen dafür, um faire und gerechte Lösungen zu ermöglichen.
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