Bei Rationierung muss im Rahmen einer «Zwangssituation» auf Sinnvolles und Angemessenes verzichtet werden. Rationierung im Gesundheitswesen bedeutet die Verweigerung von nützlichen und berechtigten Gesundheitsleistungen oder jeder implizite oder explizite Mechanismus, der dazu führt, dass Personen eine potenziell Nutzen bringende Leistung nicht erhalten.
Explizite (= offene) Rationierung
Bei expliziter Rationierung handelt es sich um ausdrücklich geregelte Einschränkungen wie Leistungsausschlüsse, die Festlegung von Versorgungsstandards oder die Stärkung der Eigenverantwortung durch den Ausschluss bestimmter Risiken. Dieser Form der Rationierung liegen Kriterien wie das Alter der Versicherten oder die Kosteneffektivität oder der medizinische Nutzen einer Behandlung zugrunde.
Implizite (= verdeckte) Rationierung
Implizite Rationierung bedeutet eine generelle Einschränkung ohne Nennung einzelner rationierter Leistungen, meist als Folge von Budgetierungen oder Deckelung der Gesamtausgaben. Im Unterschied zur expliziten Rationierung müssen hier Leistungsanbieter*innen die konkreten Rationierungsentscheidungen selber treffen im Sprechzimmer oder am Krankenbett. Die Unterscheidung zwischen offener und verdeckter Rationierung bezieht sich auf die Entscheidungstransparenz in ambulanten Konsultationen oder am Krankenbett. Entscheidungen aufgrund verdeckter Rationierung werden Patient*innen normalerweise verheimlicht – aus Sicht der Ärzt*inen verständlich, denn sie zerstören das Vertrauensverhältnis.
Weiche und harte Rationierung
Bei «weicher Rationierung» geht es um die Leistungsverweigerung aus ökonomischen Gründen, welche ausschliessliche den Bereich der solidarisch finanzierten Grundversorgung tangiert. Diese ist zutiefst ungerecht, da die rationierte Leistung für Reiche problemlos zugänglich ist.
«Harte» Rationierung bedeutet, dass die Leistungen auch auf dem privaten Markt nicht zugänglich sind wie zum Beispiel «verfügbare Organe» für eine Organtransplantation, fehlende COVID-Impfstoffe. Hier können Reiche ihre Privilegien weniger gut ausnützen.
Beispiele für Rationierungsmassnahmen im Medizin- und Pflegealltag:
- Vorzeitige Entlassungen aus dem SpitalDie Spitäler, ursprünglich kirchlich betriebenen Siechenhäuser, wurden im letzten Jahrhundert vom Staat übernommen. In den beiden ersten Jahrzehnten nach dem Millennium wuchs der Privatisierungsdruck....
- Keine Überweisung an Spezialist*innen
- Abgelehnte Rehabilitation
- Nicht ausgeführte pflegerische Massnahmen
Der Begriff «Rationierung» ist eine Beschreibung und gleichzeitig ein Werturteil. Die Grenzen zwischen notwendigen und nützlichen, zwischen nützlichen und wohltuenden und auch jene zwischen sinnvollen und sinnlosen bzw. schädlichen Behandlungen sind stets fliessend und sind immer mit Wertvorstellungen verbunden, also nicht objektiv.
Weder bei einem Verzicht auf sinnlose oder gar schädliche Interventionen geht es jedoch um Fälle von Rationierung, im Gegensatz zum Vorenthalten von medizinisch indizierten – also sinnvollen Leistungen!
Eine verdeckte Rationierung lässt Patient*innen nie frei entscheiden, da ihnen eine wichtige Information vorenthalten wird, nämlich jene der verdeckten Rationierungsbemühungen! Eine solche Art der Rationierung ist auch eine nicht akzeptable Zusatzbelastung für das Gesundheitspersonal: der Loyalitätskonflikt oder die doppelte Verantwortung, als «Anwält*in von Patient*innen» und «Anwält*in des Spitalbudgets».
Eine explizite Rationierung verlangt zwar Klarheit der Kriterien und Transparenz von Entscheidungen und gewährleistet natürlich lebensrettende Massnahmen. Dennoch ist Rationierung im Gesundheitsbereich immer sozial selektiv, da Reiche die rationierten Massnahmen auch selber bezahlen können. Abgesehen von absolut indiskutablen Kriterien wie Religion, Geschlecht, ethnische Herkunft, Süchte oder Risikosport sind weitere zu verwerfen, selbst wenn sie keine Diskriminierung im rechtlichen Sinne darstellen, wie der sozioökonomische Status.
Die AL lehnt die Rationierung von vorhandenen Gesundheitsleistungen aus Spargründen strikt ab, da sie für die Bevölkerung sozial ungerecht und für das Gesundheitspersonal eine unzumutbare Belastung sind.
Alternativen?
Eine mögliche und ethisch korrekte Antwort auf drohende Rationierungsmassnahmen wäre zum Beispiel eine Shared Decision Making (= SDM), d.h. eine partizipative Entscheidungsfindung. Dies ist eine Form der Kommunikation zwischen Gesundheitsfachkraft und Patient*in. Sie sieht den laienverständlichen Austausch von Informationen vor über mögliche Abklärungs- und Behandlungsschritte und deren Erfolgschancen beziehungsweise Risiken. Die Patient*in ist in alle wichtigen Aspekte der Behandlung einbezogen und bespricht die eigenen Anliegen und Präferenzen offen. Ziel ist es, gemeinsam über eine angemessene medizinische Behandlung zu entscheiden und diese zu verantworten.
Shared Decision-Making könnte ein Weg zu einer angemessenen, individuellen, bedarfs- und bedürfnisgerechten Gesundheitsversorgung sein. Um diesen Weg zu beschreiten, gilt es, sich einer paternalistischen Haltung («Ich bin Ärzt*in, ich weiss es also besser») zu entledigen und den Patient*innen auf Augenhöhe zu begegnen.