
Ausgerechnet die AL hat im Gemeinderat als einzige Partei den Gestaltungsplan zum Ersatzneubauprojekt Seebahnhöfe im Bullinger-Quartier abgelehnt. Bauen wollen hier die Wohnbaugenossenschaften ABZ und BEP, zwei grosse, der Kostenmiete verpflichtete Bauträger, die gute Arbeit leisten und der Mietzinsexplosion in der Stadt Zürich zumindest ein bisschen etwas entgegenhalten können. Warum also dieses Nein?
Einzigartiges Ensemble
Die Planung des Neubauprojektes begann vor rund 20 Jahren und ist, insbesondere aus ökologischen Überlegungen, nicht mehr zeitgemäss. Denn jeder Ersatzneubau rückt die Erreichung des Netto-Null-Ziels im Jahr 2040 weiter in die Ferne.
Natürlich gibt es Gebäude, die marode und nicht zu retten sind, aber dazu gehören die Seebahnhöfe definitiv nicht, auch wenn BEP und ABZ behaupten, dass diese «am Ende ihrer Lebensdauer angelangt» seien. Die beiden Baugenossenschaften haben ihre Siedlungen über die Jahrzehnte gut unterhalten und mit einer (energetischen) Sanierung der Siedlungen, verbunden mit Aufstockungen, könnte die Lebensdauer nochmals massiv verlängert werden. Nicht zuletzt sind die Gebäude aus der Zeit des «roten Zürich» ein Stück Zeitgeschichte der Arbeiter:innenbewegung der 1920er Jahre. Sie sind als Ensemble einzigartig und auch aus kultur- und bauhistorischer Sicht erhaltenswürdig. Welchen Aufschrei würde es wohl geben, wenn die Stadt beschliessen würde, den aus der gleichen Zeit stammenden Erismannhof abzureissen?
«Aufwertung» und Gentrifizierung
Die Weichen für einen Ersatzneubau der Seebahnhöfe wurden schon vor rund 15 Jahren gestellt, als die Stadt Zürich zusammen mit den Wohnbaugenossenschaften ABZ, BEP und GBMZ in ihrem Leitbild eine «Aufwertung» des Bullinger-Quartiers forderte.
Als «Defizite» wurden dort u.a. das «tiefste Einkommen aller Quartiere» genannt, der «hohe Anteil an ausländischer Bevölkerung», eine hohe Sozialhilfequote und ein «sehr hoher Anteil fremdsprachiger Kinder in den Schulen».
Gentrifizierung war also das Ziel der sozialdemokratisch dominierten Stadtregierung und Ersatzneubauten boten sich ihr offenbar als Lösung für ein «vorteilhaftes Mischverhältnis» im Quartier an.
Es gab zwar eine siedlungsinterne Opposition gegen das Neubauprojekt, aber sie unterlag in der Abstimmung an der Generalversammlung der ABZ 2015 relativ deutlich.
AL: Weiterbauen im Bestand fördern
Ersatzneubauten waren damals fast schon der Normalfall, weil relativ günstig und mit wenig Auflagen verbunden. Seit einigen Jahren aber ist das Bauen im Bestand ein grosses Thema, nicht nur in Architekturkreisen, sondern auch in Politik und Bevölkerung. Die AL setzt sich im Gemeinderat seit langem dafür ein, dass die Stadt nur dann die Abrissbirne einsetzt, wenn es wirklich nicht anders geht. So forderten wir vor vier Jahren mit dem Postulat 2021/302, dass für jedes städtische Bauprojekt eine Gesamtenergiebilanz vor Wettbewerbsausschreibung erstellt wird. Und mit dem Postulat 2024/580 verlangt die AL, dass die Stadt die Architekturwettbewerbe künftig offen ausschreibt betreffend Ersatzneubau oder Bauen im Bestand. Beide Postulate fanden eine Mehrheit im Rat.
Ein Zeichen setzen…
Uns ist es wichtig aufzuzeigen, dass in der heutigen Zeit ein solches Projekt nicht mehr widerstandslos durchgewunken wird. Dass die Argumentation mit dem abgelaufenen Lebenszyklus nicht einfach als Wahrheit genommen wird und dass nicht alle das Gleiche unter Aufwertung verstehen. Und wer einmal die Seebahnhöfe gesehen hat, wird bestätigen, dass hier schon vor hundert Jahren eine ideal verdichtete, wunderschöne Siedlung mit hoher Lebensqualität für die Bewohner:innen gebaut wurde.
Die AL-Gemeinderatsfraktion lehnte den privaten Gestaltungsplan ab, um ein Zeichen zu setzen. Uns war klar, dass wir den Ersatzneubau mit unseren wenigen Stimmen nicht verhindern können. Wir wollten aber keinen Freipass liefern, indem wir das Projekt ohne Gegenstimme durchgehen liessen.
…gegen ein ökologisch fragwürdiges Projekt
Das Referendum gegen den Gestaltungsplan hat die AL nicht aktiv mitgetragen. Jetzt haben wir aber die Chance, auch private gemeinnützige Bauträger per Abstimmung allenfalls zu einem Umdenken zu bewegen. Deshalb hat die AL-Vollversammlung vom 30. September fast einstimmig die Nein-Parole zum Gestaltungsplan beschlossen und empfiehlt dieses ökologisch fragwürdige Gentrifizierungsprojekt abzulehnen und für den Erhalt dieser Bauten aus der Blütezeit der Arbeiter:innenbewegung Zürichs zu stimmen.