
(Bild: David Winizki)
Kürzlich verkündete der Stadtrat, dass Zürich (als erste deutschschweizerische Stadt!), die Kosten für die gesundheitliche Versorgung von Menschen ohne Krankenkasse übernehmen will. Die Chancen sind intakt, dass der rotgrüne Gemeinderat zustimmt, worauf der bisherige Pilotversuch ab 2026 definitiv sein wird. Es handelt sich bei den Begünstigten zum allergrössten Teil um sogenannte Sans-Papiers, Personen also, die oft als Touristen in die Schweiz reisten und das Visum ablaufen liessen ohne abzureisen – also keine Asylsuchenden, die immer eine Krankenkasse haben. Dieser Entscheid ist ein wichtiger Game-Changer und hat eine längere Vorgeschichte, an der ich beteiligt war:
Kurz nach der Eröffnung meiner Hausarztpraxis 1989 im Seefeld meldeten sich – dank meiner, damals noch rudimentären Spanischkenntnisse – mit Schweizern verheiratete Lateinamerikanerinnen und bald darauf auch sogenannte Sans-Papiers, die ich für 50 Franken bar pro Konsultation betreute, maximal ein:e Sans-Papiers pro Arbeitstag, 15 Jahre lang – Tausende!
Dann, 2004, kümmerten sich gleichzeitig der Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich sowie die Médecins Sans Frontières (MSF) um das Los der Zürcher Sans-Papiers – immerhin rund 10’000 Personen. 2005 wurde dann die Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich (SPAZ) gegründet und 2006 die medizinische Anlaufstelle Meditrina der MSF eröffnet. MSF stellte mich in einem 10%-Pensum als medizinischen Berater ein. Ich schuf innert Kürze ein Netzwerk von je rund 30 Hausärzt:innen und Spezialist:innen sowie etwa 15 nichtärztliche Mediziner:innen, die sich anerboten, Sans-Papiers für einen Sozialtarif zu behandeln.
2010 übernahm das Rote Kreuz des Kantons Zürich die Meditrina von den MSF (mit mir als Berater). Schon drei Jahre danach wurde mir allerdings gekündigt, weil ich mich über Meditrina in der Papierloszeitung der autonomen Schule äusserte, ohne das SRK vorher zu fragen. Ich bat meine Berufskolleg:innen im Netzwerk zu bleiben und gründete mit einigen von Ihnen die NGO «Sans-Papiers-Care». Diese verfolgte ausschliesslich das Ziel, den Staat zu verpflichten, die Gesundheitsversorgung von Sans-Papiers zu übernehmen. Dies gelang mit der damaligen Leitung des Gesundheits- und Umweltdepartements (GUD) allerdings nicht.
Im August 2017 berichtete ich an einer AL-Versammlung über die prekäre Gesundheitsversorgung von Sans-Papiers. In der Folge reichte die AL im November eine dringliche Motion im Gemeinderat ein, welche im folgenden Jahr überwiesen wurde. Darauf bereitete sich das GUD auf den bewilligten Pilotversuch vor, welcher 2022 startete und nächstes Jahr verstetigt werden soll. Der Entscheid darf für deutschschweizerische Verhältnisse mit Fug und Recht als sensationell bezeichnet werden.
Die karitative Gesundheitsversorgung erinnert an mittelalterliche Zustände, als 100% von der Kirche geleistet wurde. In der Aufklärungszeit änderte sich das zum Glück. Unserem Pestalozzi wird die Aussage zugeschrieben «Wohltätigkeit ist das Mistloch der Gnade, in der das Recht ersäuft wird». Wohltätige haben zu viel Geld und hoffen darum, sich mit ihrer milden Gabe einen Logenplatz im Paradies zu sichern. Allerdings tendieren Mächtige gegenüber Ohnmächtigen zu Missbräuchen aller Art. Darum müssen die Grundrechte in einer solidarischen Gesellschaft partout vom Staat als demokratisch legitimierte Vertreter der Bevölkerung reguliert werden, was nun endlich auch für Sans-Papiers gilt.
Diesen Erfolg darf sich die AL auf ihre Fahne schreiben!