
Samir, Jovita dos Santos Pinto, Tanja Maag, Tabea Rai und Artan Islamaj (v.l.n.r.) im Gespräch im Xenix.
Die Auseinandersetzung mit Rassismus ist eine Pflichtaufgabe. Das Kino Xenix hat der AL dafür den Rahmen geboten: Einen Ort, wo Geschichten erzählt werden, wo diskutiert wird oder wo Menschen sich einfach treffen.
Ein Lehrstück zur Schweiz und ihrem Umgang mit Migration drückte uns zu Beginn zwei Stunden in die Sessel: Samirs Dokumentarfilm Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer forderte auch inhaltlich. Es waren linke migrantische Kreise, die über Jahrzehnte für demokratischen Fortschritt sorgten. Über weite Strecken solidarisierten sich Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei mit den Forderungen nach fairen Arbeitsbedingungen usw. Im Verlauf der 70erJahre wurde die Solidarität mit der migrantischen Arbeiter:innenkultur schwächer. Die späteren Einwanderer:innen fanden sich nicht mehr als Arbeiter:innen definiert, sondern nur noch als Ausländer:innen, die je nach Bedarf erledigen, was hier keine:r machen will.
Gute Absichten reichen nicht
Samirs Film führt uns die Willkür vor Augen, die den migrantischen Hintergrund definiert. Die beschämend konservative Haltung der Schweiz lässt sich nicht schönreden. Kommen mal andere Zeiten? Just heute sind wir mit einer neuen rassistischen SVP-Kampagne konfrontiert. Immer wieder werden unrechtmässige Ausweisungen und Abschiebungen in der Schweiz durchgesetzt. Ein grosser Anteil der Schweizer Bevölkerung sieht sich regelmässig mit rassistischer Belastung konfrontiert. Und von Rassismus betroffene Menschen sind in der Politik nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Es zeigt sich, gerade auch in linken Organisationen, die sich für Gleichberechtigung und antirassistische Anliegen einsetzen: Gute Absichten allein reichen nicht. Welche Strategien könnten hilfreich sein, um den strukturellen Ausschluss zu minimieren und echte politische Teilhabe zu ermöglichen?
Migration nicht als Ausnahme verstehen
Für die Diskussion im Anschluss an das Filmscreening haben wir folgenden Ansatz gewählt: Unsere Gäst:innen haben je eine Frage mitgebracht. Jede:r Teilnehmer:in hat den anderen sowie dem Publikum eine Frage zum Thema Rassismus in der Politik gestellt – insbesondere innerhalb der Linken.
Das Gespräch mit TABEA RAI (Alt-Grossrät:in AL, Bern), JOVITA DOS SANTOS PINTO (Kulturwissenschaftlerin und Rassismusforscherin), SAMIR JAMAL ALDIN (Filmemacher) und ARTAN ISLAMAJ (Co-Geschäftsführer INES) führte uns in eine postmigrantische Realität, eine Realität, in welcher Migration nicht mehr als Ausnahme verstanden werden sollte. In dieser Gesellschaft sind Migrant:innen in Organisationen und Parteien vertreten, weil Parteien postmigrantische Karrieren verstehen.
«Open doors»-Policy ist nicht zielführend
Integration ist nicht nur eine Frage der Repräsentation, sondern auch sozialen Inhalte. Die Inhalte, die migrantische Menschen bewegen, gelangen nicht zu den Parteien. Darauf warten, dass Betroffene sich bei ihnen melden, funktioniert nicht mehr. Die passive «open doors»-Policy hat sich erschöpft. Parteien müssen proaktiv auf migrantische Gruppierungen zugehen. Die 4/4-Initiative z.B. ist fast nur von migrantischen Leuten getragen. Wenn sich Partien nur vor den Wahlen für Rassismus interessieren, kommt es nicht gut. Hier schliesst sich der Kreis wieder. In Samirs Film zeigt sich, dass auch die Gewerkschaften in der Kritik standen, zu wenig altruistisch zu sein. Dabei rückt die Machtfrage ins Zentrum. Radikale Änderungen lösen Ängste aus, Macht muss abgegeben werden. Intersektionales Lernen heisst nämlich radikales Ändern. Da sich Rassismus auch um den Besitz von Bürger:innenrechten dreht, kann die Logik hier durchbrochen werden, wenn z.B. Privilegierte auf dieses Recht verzichten und ihre Stimme mit einer «Nicht-Stimmberechtigten»-Stimme teilen.
Jovita dos Santos Pinto brachte es auf den Punkt: Die AL als nicht klassische politische Partei hätte gute Chancen, die klassischen Logiken zu durchbrechen. Sie muss sich aber die Frage stellen, wohin sie in Sachen Anti-Rassismus will. – Die eigene Auseinandersetzung mit Rassismus (in der Politik) verlangt grosse Selbstreflexion. Ich bin dazu bereit, machst du mit?