
Mit Befremden nimmt die AL zur Kenntnis, dass Regierungsrätin Natalie Rickli weiterhin auf ein ideologisch motiviertes Verbot medizinischer Behandlungen für trans* Jugendliche hinarbeitet – entgegen der medizinischen Faktenlage, entgegen den Empfehlungen der Fachgesellschaften und entgegen dem ethischen Grundsatz einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung. Es ist eine der zentralen Aufgaben einer Gesundheitsdirektorin, den Zugang zu wirksamen, zweckmässigen und wirtschaftlichen Behandlungen sicherzustellen – auch und gerade für vulnerable Gruppen. Wer jedoch unter dem Mäntelchen der Fürsorge ein De-facto-Verbot medizinischer Behandlungen fordert, verweigert trans* Jugendlichen nicht nur Hilfe, sondern sabotiert grundlegend den staatlichen Versorgungsauftrag. Diese Politik gefährdet konkret Leben.
Gerade in einem Bereich, in dem Schweigen und Verdrängen Leid produziert, entscheidet sich die kantonale Gesundheitsdirektorin, die Meinung der Fachwelt zu ignorieren, um den Bund zu bitten, ein nationales Behandlungsverbot von trans* Jugendlichen zu prüfen. Diese Auslagerung der Verantwortung ist nicht nur ein durchschaubares politisches Manöver. Sie macht auch deutlich, dass Natalie Rickli sich weigert, auf kantonaler Ebene für eine evidenzbasierte, menschenwürdige Versorgung der trans Bevölkerung einzustehen. Anstatt sich für die Sicherung der Gesundheit dieser Menschen einzusetzen, verrät sie diese und hofft auf Applaus von ganz rechts und ganz, ganz rechts.
Übergriff auf medizinische Fachkompetenz
Dieses Manöver gelingt der Gesundheitsdirektorin, indem sie einen massiven Übergriff auf die medizinische Fachkompetenz vornimmt. Die medizinische Behandlung von trans Jugendlichen ist hochkomplex. Sie erfordert eine enge Zusammenarbeit von Fachpersonen aus Medizin, Psychologie und Pflege. Ihre Entscheidungen basieren auf evidenzbasierten Leitlinien – etwa der neuen S2k-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) – welche mit Expert*innen der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie erstellt wurde. Ideologische Forderungen, die diese professionelle Einschätzung ignorieren oder untergraben, sind ein direkter Angriff auf die medizinische Selbstständigkeit und in dieser Offensichtlichkeit ein Novum. Natalie Rickli überschreitet hier deutlich die Grenze ihrer politischen Kompetenz.
Natalie Rickli ist sich dieser Problematik bewusst, weshalb sie den tatsächlichen Umfang der medizinisch indizierten Operationen an Jugendlichen verzerrt darstellt. Diese Eingriffe finden nur in extrem seltenen Ausnahmefällen (im Jahr 2022: 22 Eingriffe in der ganzen Schweiz) und immer nach jahrelanger fachärztlicher Begleitung, mit Einbezug der Eltern, im Rahmen interdisziplinärer Entscheidungsprozesse und vorwiegend bei 16- bis 18-Jährigen statt. Die Gesundheitsdirektion stellt selbst fest, dass weder hier noch in anderen Fällen Hinweise auf systemische Versorgungsmängel vorliegen. Dennoch fordert Natalie Rickli ein Verbot. Das ist Symbolpolitik – und sie trifft genau jene, die Schutz und Unterstützung am meisten brauchen.
Besonders problematisch ist das von Rickli ins Spiel gebrachte Narrativ eines angeblichen „Trends“, die eigene Geschlechtsidentität zu hinterfragen – als handle es sich dabei um eine Modeerscheinung. Dieses Bild ist falsch und gefährlich. Was wir heute sehen, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Öffnung und Aufklärung. Jugendliche setzen sich heute mit Geschlecht, Körper und Identität auseinander, weil sie es dürfen. Das ist kein Symptom, sondern ein Fortschritt. Wer das problematisiert, stellt sich gegen die Realität einer mündigen, informierten jungen Generation. Ebenfalls fragwürdig ist der Bezug auf Rückmeldungen „von Eltern“. Diese Formulierung suggeriert Breite – doch de facto handelt es sich um einige wenige Elternpaare – die sich bei der Gesundheitsdirektion beschwert haben. Die Erfahrungen der über 99 % anderen Familien bleiben unerwähnt. Auf dieser dünnen Basis nun Gesetzesverschärfungen oder Verbote zu fordern, ist ein grober Missbrauch einzelner Einzelfälle für eine politisch motivierte Agenda.
Doppelstandards bei „irreversiblen“ Eingriffen
Ricklis Argumentation gipfelt in einem Zitat, das sinngemäss besagt, irreversible Entscheidungen sollten Volljährigen vorbehalten bleiben. Dieses Argument ist heuchlerisch. Jugendliche dürfen ab 16 Jahren rechtlich einvernehmlichen Sex haben oder sich für eine hormonelle Verhütung entscheiden – ebenfalls medizinische Eingriffe mit potenziell irreversiblen Folgen. Dass genau bei trans Jugendlichen diese Eingriffe problematisiert werden, zeigt, worum es wirklich geht: Politische Diskriminierung unter dem Deckmantel des Jugendschutzes. Auch die Darstellung von Hormonbehandlungen als „experimentell“ ist irreführend. Dieselben Medikamente – etwa Hormonblocker – werden seit Jahrzehnten auch bei cis Jugendlichen angewendet, zum Beispiel bei früher Pubertät. Wenn sie nun bei trans Jugendlichen infrage gestellt oder gar verboten werden sollen, dann nicht aus medizinischen Gründen, sondern aus ideologischen. Solche Doppelstandards sind nichts anderes als institutionalisierte Diskriminierung.
Statt die realen Herausforderungen von trans Jugendlichen anzuerkennen – familiäre Ablehnung, Mobbing in der Schule, erschwerter Zugang zu Bildung und psychischer Gesundheit – konstruiert die Gesundheitsdirektion ein Bedrohungsszenario, das nicht existiert. Dabei ignoriert sie bewusst, dass ein Behandlungsverbot keine Alternative darstellt, sondern Betroffene in ein medizinisches Vakuum stürzt. Leid, Isolation und lebensgefährdende Krisen sind die absehbaren Folgen. Heuchlerisch ist auch die Tatsache, dass die Gesundheitsdirektorin einen Forschungszwang für manche Behandlungen vorsieht, ohne sich dazu zu äussern, weshalb sie nicht selbst diese Forschung finanziert.
Wir fordern die Gesundheitsdirektion auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen – auf kantonaler wie auf nationaler Ebene. Trans Jugendliche brauchen Zugang zu sorgfältiger, individueller und professioneller medizinischer Unterstützung. Was sie nicht brauchen, sind symbolpolitische Verbote, die ihre Existenz und ihr Leiden weiter marginalisieren.