
Regierungsrätin Walker Späh am “Tag des Standorts” (Januar 2024)
BAK übertreibt Abwanderungs-Risiko
Sehr hoch gewichtet, ja dramatisch überspitzt wird in der politischen und medialen Diskussion das potenzielle Abwanderungs-Risiko auf kommunaler, kantonaler und internationaler Ebene. Gläubig und kritiklos stützt sich der Regierungsrat bei seiner Steuerstrategie auf die angeblich wissenschaftliche Expertise von BAK Economics AG (STAF-Umsetzung im Kanton Zürich: Schritt 2 der Steuervorlage 17, Juni 2023). Die BAK-Simulation, die mit nicht näher erklärten «dynamischen» Effekten operiert, kommt zu wahrhaft erstaunlichen Ergebnissen. So würden bei einem Verzicht auf die geplante zweite Steuersenkung auch im mittleren, als realistisch angenommenen Szenario die Holding-Gesellschaften «zu mehr als 85 Prozent aus Zürich wegziehen» und damit 47 Mio Franken Steuern wegbrechen (BAK S. 17). Hier ist die Rede von börsenkotierten Dach-Holdings wie UBS Group, Swiss Re, Zurich, Swiss Life, ABB etc. Sie sind alle personell und organisatorisch eng verzahnt mit ihren operativen Firmenzentralen in der Stadt Zürich. Ein Wegzug ist höchst unwahrscheinlich.
BAK behauptet: Reduktion auf 7 oder 6 Prozent ist Hans was Heiri
Viel irritierender ist ein weiteres Simulationsergebnis der BAK-Studie. Glaubt man dem BAK-Algorithmus, spielt es keine Rolle, ob man den Gewinnsteuersatz von 8 auf 7 oder auf 6 Prozent reduziert. Für die bereits vollzogene Senkung auf 7 Prozent rechnet BAK im Szenario mittel beim Kanton mit Ausfällen von 348 Mio Franken, bei der Reduktion 8 auf 6 Prozent mit total 350 Mio Franken (BAK S. 20). Das wären für die aktuelle Senkung also bloss 2 Mio Franken beim Kanton (bei den Gemeinden 39 Mio Franken). Dieses Ergebnis widerspricht jeder Logik, führt doch eine Reduktion des Gewinnsteuersatzes um ein Siebtel zweifellos zu einem substanziellen Einnahmenverlust. Eine Erklärung, warum sich dieser Ausfall dank BAK-Algorithmus komplett in Luft auflöst, bleiben die Studienverfasser schuldig. Da die Simulationen «mit Unsicherheiten behaftet sind», hat BAK – so der Regierungsrat – zusätzlich «eine mögliche Spannbreite» ermittelt. Danach könnten die Ausfälle beim Kanton bis zu 89 und für die Gemeinden bis zu 129 Mio Franken erreichen (Weisung 5939, S. 22).

BAK-Alchemisten beim Justieren ihres Algorithmus
Kein Wunder, erachtet der Zürcher Stadtrat die BAK-Simulationen in seiner Vernehmlassung als «vollkommen untauglich» für eine Gewinnsteuer-Prognose.
Steuerbelastung ist nicht das A und O
Sowenig es den früher von den Neoliberalen gehätschelten homo oeconomicus gibt, sowenig verhalten sich Firmen wie pawlowsche Hunde, die reflexartig steuerpolitischen Signalen folgen. Die Stadt Zürich hat kantonsintern für juristische Personen einen vergleichsweise hohen Steuerfuss von 129.03 Prozent. Trotzdem werden hier drei Fünftel aller Gewinne im Kanton versteuert. Und obwohl Opfikon 20 Steuerprozente günstiger ist, hat Zurich Insurance Group 2014 ihren dortigen Firmenstützpunkt dichtgemacht und in das LEED-Platinum-zertifizierte Sky-Key-Hochhaus an der Hagenholzstrasse in Zürich-Nord verlegt. Die Geschäftsstelle «MIU Mobilität in Unternehmen» von Kanton und Stadt Zürich schreibt dazu: «Energieeffizienz, Umweltstandards, Emissionsreduktion sind nur einige der berücksichtigten Themen.»
In den letzten Jahren hat die Swiss Re ihre Angestellten etappenweise vom Konzernsitz in Adliswil (Steuerfuss 112 Prozent) an den Hauptsitz nach Zürich geholt. Jüngstes Beispiel ist der Kosmetikkonzern La Prairie, der 2024 mit seinen 300 Angestellten von Volketswil (Steuerfuss 110 Prozent) in das repräsentative und rundum erneuerte ehemalige Elektrowatt-Gebäude an der Bellerivestrasse direkt am See gezügelt ist.
Tiefsteuergemeinden mit hohem Büro-Leerstand
Ebenso aufschlussreich wie diese Sitzverlegungen sind die aktuellen Daten der leerstehenden Büroflächen in der Region Zürich. Laut JLL Schweiz verzeichnete ausgerechnet das steuergünstige Opfikon 2024 einen Büro-Leerstand von sagenhaften 32.4%, während in der Stadt Zürich bloss 3.4% der Büroflächen unvermietet waren.

Quelle: JLL Büromarkt Schweiz 2025
Trotz massivem Steuergefälle wenig Abwanderung aus Zürich
Auch interkantonal ist die Situation deutlich weniger dramatisch als sie die Lobbyisten schwarzmalen. Bereits seit Längerem klaffen die Firmensteuersätze zwischen Zürich und der Zentralschweiz stark auseinander: Aktuell zahlt ein Unternehmen an Bund, Kanton und Gemeinde in der Stadt Zürich 19.6% Gewinnsteuern, in Zug bloss 11.8% und in Luzern 11.9%; die Kapitalsteuer beträgt in Zürich 1.7 Promille, in Zug und Luzern 0.7 Promille. Trotzdem ist es nicht zum grossen Exodus von Zürich in die Innerschweiz gekommen. Im Gegenteil: Finanzschwergewichte investieren in den Standort Zürich. Zurich Insurance und Swiss Re haben in den letzten Jahren – bemerkenswerterweise bereits vor der ersten Steuersenkung – am Zürcher Mythenquai grosse Neu- und Erweiterungsbauten geplant und realisiert. Auch von Swiss Life sind keine Abwanderungsgelüste bekannt. Und die UBS baut den Hauptsitz am Paradeplatz um und plant eine grosse Investition in ein Büro-Hochhaus beim Bahnhof Altstetten.
Von Zug nach Zürich, von Zurzach nach Wallisellen
Neben denen, die bleiben, gibt es auch Wanderungen in der Gegenrichtung. Nach der Übernahme des Shire-Konzerns für 62 Milliarden Dollar hat Takeda, der grösste japanische Pharma-Konzern, 2019 den bisherigen Standort von Shire in Zug dichtgemacht und alle verbleibenden Arbeitsplätze in Opfikon konzentriert. Am Hauptsitz für Europa und Kanada arbeiten dort heute über 1000 Angestellte.
«Der Entscheid, den Zürcher Standort auszubauen, sei aufgrund der Nähe zum Flughafen und wegen des Life-Science-Clusters im Grossraum Zürich gefallen.»
(Luzerner Zeitung 17. Mai 2019)
Nach 90 Jahren in Bad Zurzach hat der Unterwäsche-Hersteller Triumph 2024 seinen Hauptsitz nach Wallisellen verlegt. Der neue Standort biete «deutlich bessere Verkehrsanbindungen» und «eine sehr gute Infrastruktur mit einem breiten Angebot an Gastronomie, Dienstleistungen wie etwa Kinderbetreuung sowie Sport- und Freizeitmöglichkeiten» und trage «den stark veränderten Arbeitsgewohnheiten und Anforderungen an einen modernen Arbeitsplatz optimal Rechnung».
Der IT- und KI-Cluster Stadt Zürich
Am spektakulärsten widerspricht der schon länger andauernde IT- und KI-Boom in der Stadt Zürich der Standort-Theorie der Tiefsteuer-Apologeten. Alle grossen Player sind hier mit Forschungs- und Entwicklungs-Stützpunkten präsent. In Zürich, nicht in Zug. Google, seit über 20 Jahren hier, beschäftigt gegen 5000 Angestellte und belegt einen Drittel der Büros an der Europaallee. Dort betreibt auch der Chip-Hersteller Nvidia ein Labor mit 200 Angestellten. Amazon residiert statusbewusst am Mythenquai und Oracle hat ab 2018 im Prime Tower ein Software-Labor aufgebaut. Facebook unterhält eine Forschungsabteilung mit mehreren hundert Beschäftigten in Wiedikon. Im letzten Halbjahr sind Open AI (Chat GPT) – mit Standort «zwischen Paradeplatz und Enge» – und Anthropic (Sprachmodell Claude) dazugestossen.

Das Stichwort ist immer das gleiche. Es heisst nicht Gewinnsteuersatz, sondern ETH, ETH und nochmals ETH. «In dieser Region leben jene Top-1-Prozent, die in ihrem Bereich Exzellenz vorantreiben», sagt Neil Houlsby Leiter Anthropic Zürich. «Man trifft KI-Forschende beim Feierabendbier – vorausgesetzt, man ist in der Nähe der ETH Zürich.» Carmen Walker Späh und Greater Zurich Area überbieten sich in Lobeshymnen auf den geilen IT- und KI-Standort Zürich. Und schüren gleichzeitig die Panik über die mangelnde steuerliche Wettbewerbsfähigkeit. Schizophrener geht’s nimmer…
Ohne Menschen keine Profite
Das Fazit ist einfach. Es geht immer auch um Menschen und ihre Bedürfnisse. Ohne qualifizierte Angestellte können Konzerne keine Profite realisieren. Und dafür spielen andere Faktoren wie Ausbildungsstätten, öV-Erschliessung, Lage des Arbeitsorts, Kinderbetreuung, Kulturangebot, attraktives Firmenumfeld etc. etc. eine zentrale Rolle.