
Korruption, Repression und Gewalt prägen die Lage in Serbien seit Jahren. Seit etwa 2016 haben sich immer wieder Protestbewegungen gebildet, von den Belgrader Wasserprotesten bis hin zu Massenkundgebungen nach den tödlichen Amokläufen 2023 in Belgrad und Velika Ivanča. Besonders die Proteste gegen den geplanten Lithium-Abbau im Jadar-Tal haben eine breite gesellschaftliche Mobilisierung ausgelöst, die von konservativen Gruppen bis hin zur LGBTQIA+-Community reicht.
Nach dem Einsturz eines Bahnhofvordachs in Novi Sad am 1. November 2024 mit 15 Toten hat sich die Lage zuerst vor Ort und dann schrittweise im ganzen Land massiv zugespitzt. Viele machen das korrupte System und die Misswirtschaft von Präsident Aleksandar Vučić für den Einsturz verantwortlich. Die serbische Regierung sieht sich zurzeit mit einer Protestbewegung konfrontiert, die sie nicht mehr ignorieren kann. Die aktuellen Demonstrationen der Studierenden sind die grösste Protestbewegung des Landes seit dem Sturz des Milošević-Regimes.
Repression gegen Demonstrierende
Die Regierung unter Vučić setzt auf systematische Einschüchterung, Gewalt und willkürliche Verhaftungen, um die Proteste zu ersticken. Besonders brutale Angriffe gab es seitens der Polizei und regierungsnahen Schlägertrupps auf Demonstrierende, die sich gegen den Lithium-Abbau stellten. Laut Amnesty International überwacht der serbische Geheimdienst (BIA) Aktivist:innen unter anderem mit sogenannten IMSI-Catchern, die Mobiltelefone in einem bestimmten Bereich orten, identifizieren und Kommunikation abfangen können. Serbien hat in den letzten zehn Jahren über 20 dieser Geräte importiert. Recherchen des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zeigen, dass die Schweiz und Finnland allein im letzten Jahr 16 Lizenzen für den Export solcher Geräte nach Serbien erteilt haben .
Gleichzeitig wird die öffentliche Debatte durch Propaganda manipuliert. Fast sämtliche Fernsehsender mit nationaler Reichweite stehen unter direktem Einfluss der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) und fungieren als Sprachrohr für Vučić, während der Opposition kaum Kanäle zur Verfügung stehen. Laut einer Umfrage der nicht-staatlichen Organisation CRTA unterstützen mittlerweile über 60 Prozent der Serb:innen die Proteste.
Ein zentraler Protestpunkt ist die umstrittene Förderung von Lithium
Die serbische Regierung vergibt grossflächige Abbaukonzessionen an internationale Unternehmen, während lokale Gemeinschaften um ihre Lebensgrundlage fürchten. 2022 kam es zu landesweiten Massenprotesten gegen den Lithium-Abbau durch den anglo-australischen Bergbaukonzern Rio Tinto, der international wegen Umwelt und Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht. Die schwachen Umweltgesetze Serbiens ermöglichen es Konzernen, ohne strenge Auflagen zu agieren, was schwerwiegende ökologische Schäden verursacht. Trotz der Proteste wurde das Projekt nach Vučićs Wahlsieg 2023 wieder aufgenommen. Das vom Regime kontrollierte Verfassungsgericht erklärte den Stopp der Ausbaupläne für verfassungswidrig. Nach anfänglicher Kritik am Regime wegen des Wahlbetrugs, gingen die EU und Deutschland schnell zu einer Rhetorik der engen Partnerschaft mit Serbien über. Höhepunkt war der Besuch des deutschen Bundeskanzler Scholz in Belgrad am 19. Juli 2024. Serbien wurde als «Zukunftsgarant für den europäischen Green Deal» präsentiert. Die grossen Lithiumvorkommen werden insbesondere für Batterien benötigt und sind damit zentral für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern.
Forderungen
1. Die AL Zürich erklärt ihre Solidarität mit den Einwohner:innen in Serbien, die derzeit mutig für Demokratie, Meinungsfreiheit und soziale Gerechtigkeit auf die Strassen gehen. Sie fordert echte Partizipation und ein Ende der Repression. Die serbischen Behörden müssen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit respektieren und die Anliegen der Studierenden ernst nehmen. Zudem appelliert die Protestbewegung an die EU-Kommission und das Europäische Parlament, klare Massnahmen gegen das autoritäre Regime zu ergreifen. Die AL Zürich unterstützt eine demokratische, sozial gerechte und europäisch orientierte Zukunft Serbiens.
2. Die AL Zürich fordert, dass keine Exportgenehmigungen durch die Schweiz für IMSI-Catcher oder andere Überwachungstechnologien nach Serbien erteilt werden.
3. Die AL Zürich spricht sich gegen jegliche Rohstoffabbauprojekte aus, die gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchgesetzt werden. Dies betrifft insbesondere umstrittene Projekte wie den Lithium-Abbau im Jadar-Tal durch Rio Tinto, der massive ökologische Schäden verursacht.
4. Die AL Zürich solidarisiert sich mit den unterdrückten Bevölkerungsgruppen wie der LGBTQIA+-Community, den Roma, den sprachlichen und religiösen Minderheiten und fordert Serbien dazu auf, die Menschenrechte einzuhalten.5. Die AL Zürich setzt sich gegen den ungebremsten Ausbau der Elektromobilität ein, welche die Hauptursache für den stets steigenden Lithium-Verbrauch darstellt.
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