(Bild: Der Bund)
Kaum hatte die AL-Kantonsratsfraktion die Motion zur Abschaffung des Langzeitgymnasiums im Kanton Zürich eingereicht, fragte der Tagesanzeiger noch am selben Tag seine Leserschaft: «Sind Sie für oder gegen die Abschaffung des Langzeitgymnasiums?» Rund 4500 Leser:innen stimmten ab. Fast die Hälfte (49%) votierte für die Abschaffung des Langzeitgymnasiums. Auch in den Kommentaren hielten sich die Befürworter:innen und Gegner:innen in etwa die Waage. Die Hauptargumente der Abschaffungsgegner:innen: Stärkere Schüler:innen würden ohne Langzeitgymnasium noch stärker vernachlässigt, die Schulqualität sinke dann insgesamt und das Leistungsniveau nivelliere sich nach unten.
Für eine starke Volksschule
Die AL steht seit ihrer Gründung vor mehr als 30 Jahren für ein starkes, öffentliches, unentgeltliches und somit chancengerechtes Bildungssystem ein. Ziel von Bildung muss sein, alle hier lebenden Menschen zur Partizipation in Gesellschaft, Kultur und Politik zu befähigen. Alle Kinder und Jugendlichen sollen in der obligatorischen Schulzeit dieselbe Schule besuchen. In der Volksschule sollen nicht nur Lehrpersonen unterrichten, sondern Kinder und Jugendliche sollen auch voneinander und miteinander lernen. Mit unserem Vorstoss bezwecken wir eine Stärkung der elfjährigen, unentgeltlichen Volksschule. Die Abschaffung des Langgymnasiums im Kanton Zürich ist ein erster Schritt zu einer chancengerechteren Gesamtschule. Aus diesem Grund setzt sich die AL auch für ein einheitliches Oberstufensystem ein, das den Bedürfnissen der einzelnen Schüler:innen gerecht wird. Leistungsstarke Schüler:innen können nach der Oberstufenzeit weiterhin in ein Kurzzeitgymnasium wechseln.
Selektionsdruck nimmt zu
Im Kanton Zürich läuft alles darauf hinaus, das Langzeitgymnasium noch mehr von der Volksschule abzukoppeln und noch elitärer zu gestalten. Die Maturitätsquote wird seit Jahren künstlich tief gehalten (sie liegt bei rund 20 Prozent). Mit dem seit 2023 in Kraft gesetzten neuen Prüfungsreglement wird der Übertritt von der sechsten Primarklasse ins Langzeitgymnasium weiter erschwert. Mit dem neuen Prüfungsreglement reagiert der Kanton Zürich auf die steigenden Zahlen von Schüler:innen, die ins Langzeitgymnasium wechseln wollen. Gemäss neuem Reglement muss ein Durchschnitt von Vornote (Deutsch & Mathematik im Zwischenzeugnis Januar/Februar) und Prüfungsnote (Deutsch: Sprachbetrachtung & Aufsatz sowie Mathematik) von mindestens 4.75 erreicht werden.
Damit steigt der Selektionsdruck nach der 6. Primarklasse weiter an. Der Kanton Zürich gehört zu den zehn Kantonen in der Schweiz, die noch ein Langzeitgymnasium kennen und wo der Selektionsdruck bereits nach der 6. Primarschule, also schon für zwölfjährige Kinder beginnt. Unterschiedliche Studien zeigen, dass die Selektion aus neurologischer Sicht zu früh und zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt erfolgt, nämlich genau dann, wenn die Kinder in die Pubertät kommen.
Über die Köpfe der Kinder hinweg
Wie der im März 2024 veröffentlichte «Schulleitungsmonitor Schweiz 2023 – Befunde zu Selektion und Kommunikation» der Pädagogischen Hochschule FHNW (Fachhochschule Nordwestschweiz) deutlich macht, ist eine Mehrheit der befragten Schulleiter:innen aus den Kantonen Zürich, Aargau, Bern, Luzern und St. Gallen der Ansicht, dass eine Selektion nach der 6. Primarschulklasse aus entwicklungspsychologischer Sicht zu früh stattfinde und die meisten Kinder noch zu unerfahren seien, um beim Selektionsverfahren angemessen mitentscheiden zu können. Zudem sei das Übertrittsverfahren für die Kinder sehr belastend. Eine Mehrheit der Befragten stimmte zu, auf die Selektion nach der 6. Klasse zu verzichten.
Nicht das Portemonnaie soll entscheiden
Verschiedene Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass diese frühe Selektion zu Diskriminierungen von sozioökonomisch benachteiligten und/oder fremdsprachigen Kindern führt. Kinder von Eltern, die studiert haben, wechseln überproportional häufig ins Langzeitgymnasium. Diesen Befund bestätigt auch die Bildungsdirektion in ihrer Antwort auf die Anfrage 91/2024 «Effektivität und Effizienz der Zürcher Gymnasien?». Diskriminierend wirkt sich auch aus, dass die Unentgeltlichkeit der elfjährigen Volksschulzeit mit dem Übertritt ins Langzeitgymnasium nicht mehr gegeben ist. So müssen die Eltern Schulmaterial, Lehrmittel, elektronische Geräte, Exkursionen, Fremdsprachenaufenthalte, Klassenlager, Schulreisen usw. selber bezahlen. Damit bestimmt auch das Portemonnaie der Eltern über die Schulkarriere der Kinder und Jugendlichen.