(Bild: Miriam Künzli)
Historisch und wegweisend. So muss man das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall der Klimaseniorinnen bezeichnen.
Zum ersten Mal in der Geschichte hat ein internationales Gericht einen Staat aufgrund mangelnden Klimaschutzes verurteilt. Zum ersten Mal hat ein internationales Gericht festgehalten, dass die Klimaerhitzung die Menschenrechte bedroht. Um dies gleich hier zu sagen: Der EMRG ist kein «fremdes» Gericht, er ist ein gemeinsames Gericht, dem die Schweiz freiwillig beigetreten ist und das integral zu unserer Demokratie gehört All das macht dieses Urteil historisch.
Es ist in der Wissenschaft unbestritten, dass die Schweiz und die meisten europäischen Länder zu wenig machen. Deshalb ist das Urteil wegweisend: Der Gerichtshof weist uns in aller Deutlichkeit an, endlich einen konsequenten Klimaschutz umzusetzen.
Auf rund 250 Seiten hält das Gericht fest, inwiefern die Schweiz die Menschenrechte ihrer Bewohner:innen nicht ausreichend schützt und dass dies juristisch relevant ist. Fehlender Klimaschutz ist eine Verletzung der Menschenrechte!
Das Gericht sagt nicht, welche genauen Massnahmen wir ergreifen müssen, aber dass wir mehr tun müssen, um die Menschenrechte zu schützen. Dazu müssen wir hier im Kanton Zürich weiterhin und noch vermehrt unseren Beitrag leisten.
Das Pariser Klimaabkommen, auf welches sich das Gericht zu Teilen stützt, gibt uns vor, die Klimaerwärmung auf möglichst 1.5°C, aber sicher deutlich unter 2°C zu begrenzen. Dies bedeutet für uns, den reichsten Nationen, eine höhere Verantwortung. Deshalb müssen und wollen wir im Kanton Zürich bereits bis 2040 netto Null Treibhausgasemissionen erreichen. Dies, liebe Kolleg:innen, ist die Verantwortung aller Fraktionen dieses Rates – für die Gesundheit unserer Seniorinnen und für die Zukunft unserer Kinder.
Die Klimaerwärmung verursacht mehr Hitzewellen, und Hitzewellen bedrohen die Gesundheit. Besonders ältere Menschen über 75 Jahre sind betroffen und besonders die Frauen in dieser Altersgruppe. Ältere Menschen haben eine schlechtere Wärmeregulation. Das macht sie anfälliger für Hitzestress und beeinträchtigt ihr Herz-Kreislaufsystem. Es ist wissenschaftlich belegt: Hitze macht nicht nur krank, Hitze tötet. Dehydrierung, Hitzeschlag und Kreislaufkollaps sind die tödlichen Folgen.
In Hitzeperioden kommt es bei der vulnerablen Bevölkerungsgruppe zu Übersterblichkeit. Der Sommer 2022 hat in Europa über 61’000 Tote gefordert. In der Schweiz waren es 474 Tote. Ältere Menschen muss empfohlen werden, nur am morgen früh oder am Abend nach draussen zu gehen. Die Behörden organisieren Hitzetelefone, an welche sich ältere Menschen in der Not wenden können.
Alle Regionen dieser Welt, auch der Kanton Zürich, müssen auch darum dringend ihren Beitrag zum Netto Null-Ziel bis 2040 und zur Anpassung an die bereits erfolgte Klimaerwärmung leisten. Mit der Vorlage «Klimaangepassten Siedlungsentwicklung» haben wir eine wichtige Grundlage für die Hitzeminderung geschaffen. Doch bei der CO2-Reduktion sind wir gefährlich im Rückstand. Autoverkehr und Fliegerei verursachen über 40% des inländischen CO2-Ausstosses. Doch die Autos werden grösser, die Elektrifizierung kommt schleppend voran und die Fluggesellschaften ködern mit Billigangeboten. Beim Auto und der Fliegerei fehlen Klima-Massnahmen gänzlich. Zudem muss der ÖV noch attraktiver, Velo und Fussverkehr sicherer werden. Bei den Gebäuden hat im Kanton Zürich die CO2-Reduktion begonnen, jetzt müssen endlich Massnahmen her für Netto Null beim Verkehr.
Der Klimawandel macht nicht Halt vor der Schweizer Grenze. Bewohner:innen der Schweiz wohnen nicht auf einer Insel der Glückseligen, sondern leben in einem Land, das mit der ganzen Welt verflochten ist. So wie der Klimawandel nicht vor den Grenzen der Schweiz Halt macht, so ist auch die Schweiz verpflichtet, ihren Beitrag an der Lösung des Klimawandels zu leisten.
Kurz auf einen Nenner gebracht: mit dem Schweizer Gärtlidenken muss Schluss sein! Gefragt ist Solidarität mit der ganzen Welt und ein gewichtiger Beitrag zur globalen Klimapolitik.
Die Klimaseniorinnen haben mit ihrer Eingabe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen wichtigen Beitrag zur Schweizer und zur globalen Klimapolitik geleistet. Das Urteil wird Auswirkungen auf die Schweiz, aber auch auf Europa und die ganze Welt haben. Wie Nicola Siegrist vorhin ausgeführt hat, hat ein internationales Gericht erstmals festgehalten, dass die Klimaerhitzung die Menschenrechte bedroht.
Der Europarat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatten vor mehr als 50 Jahren bereits einmal positive Auswirkungen auf die Schweiz. Sie erinnern sich: die Schweiz wollte 1968 die europäische Menschenrechtskonvention unter Vorbehalt unterzeichnen. Unter Vorbehalt, weil die Frauen damals noch kein Wahl- und Stimmrecht hatten. Dagegen wehrten sich die Frauen, denn Menschenrechte gelten sowohl für Frauen wie auch Männer. Und so kam es, dass die Schweiz 1971 endlich das Frauenstimm- und -wahlrecht einführte.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein internationales Gericht mit Richter und Richterinnen aus allen Mitgliedsländern, also auch der Schweiz. Entscheidet die Grosse Kammer wie in diesem Fall, ist der Schweizer Richter immer Teil des Spruchkörpers. Im Europarat wird die Schweiz durch 6 Parlamentarier:innen vertreten.
Dies geht alles auf den Entscheid der Bundesversammlung 1974 zum Beitritt zurück. Es war ein demokratischer Prozess und dieser Entscheid wurde von der Bevölkerung mit dem Nein zur Selbstbestimmungsinitiative 2018 erneuert demokratisch bekräftigt.
Das nun vorliegende Urteil liegt ganz in der Tradition des EGMR. In über 300 Fällen hat der EGMR ein Urteil mit einem Bezug zum Schutz der Umwelt gefällt. Der Gerichtshof sagte mehrfach klar, dass die natürliche Lebensgrundalge des Menschen geschützt werden muss, da sonst auch die Menschenrechte nicht erfüllt werden können. Dass zur Umwelt auch das Klima gehört, ist in dieser Auslegung absolut nachvollziehbar und kongruent. Der Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention schützt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und dieses wird durch die Klimaveränderung bedroht.
Dieses Urteil sollte nun auch als Grundlage genommen werden im Europarat die Diskussion zu einem 16. Artikel der EMRK zu starten. Ein Artikel der diesen Aspekt des Schutzes der Umwelt und des Klimas als Lebensgrundlage für die Menschen ausführt und die Gerichtstradition verbrieft.
Klimaschutz kann nicht von einzelnen Menschen, einzelnen Gruppen oder einzelnen Parteien bewältigt werden. Es erfordert die Anstrengung der ganzen Gesellschaft und aller Generationen, um wirksame Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Jede und jeder von uns trägt Verantwortung für den Zustand unserer Erde und nur mit gemeinsamen Anstrengungen können wir positive Veränderungen bewirken.
Indem wir als ganze Gesellschaft zusammenarbeiten, können wir den Ausstoss von Treibhausgasen reduzieren, erneuerbare Energien fördern, die Natur schützen und nachhaltige Praktiken in allen Bereichen unseres Lebens umsetzen. Jeder einzelne Schritt, den wir gemeinsam und demokratisch legitimiert unternehmen, trägt dazu bei, die Umwelt zu schützen und den Klimawandel einzudämmen.
Denn eines muss uns bewusst sein: Klimaschutz ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Die Folgen des Klimawandels sind bereits spürbar und betreffen uns alle.
Deshalb nochmals der Aufruf an uns alle: Lasst uns gemeinsam handeln, um den Klimawandel zu bekämpfen und unsere Umwelt zu schützen.
Jeder einzelne von uns kann zwar einen Beitrag leisten, aber nur als ganze Gesellschaft können wir die Veränderungen bewirken, die notwendig sind, um unsere Umwelt und unsere Schweiz, so wie wir sie kennen und lieben, weiter zu erhalten.