Im Rahmen des Themas «Gesundheit – Kapitalismus macht krank!» am Zürcher 1. Mai bieten AL-Vertreter:innen einen Podiumsbeitrag zur sozialen Frage in der Medizin.
Gleichbehandlung und niederschwelliger Systemzugang sind die Säulen unseres Gesundheitssystems. Trotzdem stellen soziale Ungleichheiten zwischen Personen und Gruppen, wie auch ihre Ungleichbehandlung in der Medizin leider eine Realität dar!
Verschiedene europäische Untersuchungen der letzten zwei Jahrzehnte zeigen eine Konsistenz der Zusammenhänge zwischen sozialen Determinanten und gesundheitlichen Ergebnissen. Gemäss Mackenbach (2006) z.B. sterben Menschen mit einer geringeren Bildung, schlechteren Arbeitsmöglichkeiten oder geringerem Einkommen in einem jüngeren Lebensalter und weisen eine grössere Anfälligkeit gegenüber wesentlichen Gesundheitsproblemen auf. Soziale Ungleichheit als Basis dieser Entwicklung beobachtet er bei sämtlichen europäischen Staaten.
Der Zusammenhang zwischen niedrigem Einkommen und Verzicht auf notwendige Hilfe ist zahlreich und gut dokumentiert. Eine OECD-Policy-Studie (2019) zeigt, dass «out-of-pocket»-Finanzierungssysteme, wie wir im Schweizer Gesundheitswesen eines etabliert haben, diesen Zusammenhang verstärken. Die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen kann für viele Menschen eine finanzielle Notlage auslösen, wodurch die soziale Kluft weiterwächst. Wer über finanzielle Mittel verfügt, hat hingegen eine grössere Wahrscheinlichkeit, gesund zu sein oder zu bleiben. Kinder, Jugendliche, Personen mit niedrigem Einkommen oder Bildungsstand, ältere Menschen sowie Migrant: innen haben nicht die gleichen Chancen auf eine angemessene Gesundheitsversorgung wie andere Bevölkerungsgruppen.
Der bezahlbare Zugang zu den Leistungen des Gesundheitssystems ist auch in der Schweiz für viele leider nicht unproblematisch. Selbst absolut nötige Gesundheitsleistungen belasten das Haushaltsbudget von vielen Menschen zu stark. Der Legislatur-Indikator «Verzicht auf notwendige ärztliche oder zahnärztliche Leistungen aus finanziellen Gründen» des Bundesamts für Gesundheit zeigt den Anteil der Bevölkerung, der eine medizinische- oder zahnärztliche Gesundheitsleistung aus finanziellen Gründen entbehren musste, obwohl sie indiziert gewesen wäre. Im Jahr 2021 nahmen 5.1 Prozent der Bevölkerung in der untersten Einkommensklasse aus genanntem Grund ärztliche oder zahnärztliche
Leistungen nicht in Anspruch. Wird ein Zahnarztbesuch unerschwinglich, ist die Verbindung zu Armut nicht an den Haaren herangezogen. Gemäss der humanitären Organisation Caritas gilt in der Schweiz gilt als arm, «wer nicht über genügend Einkommen verfügt für den Lebensunterhalt, wer sich weder Krankenkasse noch angemessenen Wohnraum leisten kann oder für wen ein Zahnarztbesuch unerschwinglich ist».1 Rund 700’000 Menschen in der Schweiz galten im Jahr 2022 als armutsbetroffen, über 1.3 Millionen Menschen als armutsgefährdet und damit ebenso von gesundheitlichen Ungleichheiten tangiert!
Soziale Ungleichheit im Gesundheitswesen ist nicht nur ein medizinisches, sondern auch ein ethisches Problem. Wenn wir politisch untätig bleiben, werden sich diese Herausforderungen verdeutlichen. Für die AL stehen neben Präventionsarbeit und frühzeitiger Intervention insbesondere der Abbau von Barrieren und Zugangsschwierigkeiten in der Gesundheitsversorgung, wie auch die Überwindung der unsozialen Krankenkassen-Kopfprämien im Vordergrund. Letzten Endes müssen wir Ungleichheiten an der Wurzel bekämpfen und dürfen gesellschaftlich Armut keine Chance lassen! Mit der Berücksichtigung der sozialen Determinanten der Gesundheit, angemessene Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnisse, intakte Bildungschancen und gesundheitsfördernden Umweltfaktoren, lässt sich gegen Armut ankämpfen und eine gesündere Gemeinschaft aufbauen.
1 vgl. “Armut in der Schweiz erreicht neuen Höchststand“, Caritas Schweiz
Der Beitrag ist als Kolumne “Meh Biss!” in der P.S.-Zeitung Nr. 15 vom 19. April 2024, S. 10 erschienen.