(Bild: Stadtpolizei Zürich via Facebook)
2015 wurde Mohamed Wa Baile beim Hauptbahnhof von zwei Polizisten als Einziger aus der Pendlermasse herausgepickt. Da die Beamten angaben, dass keine Schwarze Person gesucht sei, weigerte er sich, seinen Namen zu nennen und sich auszuweisen, da er Racial Profiling vermutete. Darauffolgend erhielt er einen Strafbefehl wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen. Wa Baile wehrte sich gegen diese Busse, wurde aber von allen gerichtlichen Instanzen in der Schweiz abgewiesen. Nun hat ihm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte endlich recht gegeben: Die Kontrolle durch die Stadtpolizei und die anschliessenden Gerichtsverfahren verstiessen nicht nur gegen das Diskriminierungsverbot, sondern auch gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens sowie das Recht auf wirksame Beschwerde. Das Gericht kam in einem Leiturteil einstimmig zum Schluss, dass Wa Baile nur aufgrund seines Schwarz-Seins kontrolliert wurde. Die Schweiz und spezifisch die Stadtpolizei Zürich haben gegen Grundrechte verstossen.
Es ist schockierend, dass Racial Profiling, also diskriminierende Personenkontrollen gegenüber Personengruppen, welche von Polizist:innen als ethnisch oder religiös «andersartig» wahrgenommen werden, immer noch nicht genügend ernst genommen wird. Denn der Fall Wa Baile ist keineswegs ein Einzelfall. Davon zeugt beispielsweise der Fall von Wilson A., welcher berichtet, dass er von Stadtpolizisten auf brutale Weise zusammengeschlagen und rassistisch beleidigt wurde. Ein rechtskräftiges Urteil gibt es bis heute nicht. Bis jetzt wurden die Polizisten immer wieder freigesprochen. Oder der Fall von Chandra Macasche¹, welcher an der Limmat während dem Mittagessen kontrolliert wurde und auf seine Frage zum Kontrollgrund die Antwort »Wir sind keine Rassisten!« bekam. Nach der Kontrolle ging die Polizei weiter, kontrollierte jedoch keinen der dort sitzenden Weissen. Oder der Fall von Omar Zaman, der beim Joggen mit Freunden von der Stadtpolizei kontrolliert wurde und seine Identitätskarte nicht dabei hatte. Während seine weissen Freunde, welche ebenfalls keine ID dabei hatten, sofort gehen gelassen wurden, wird Omar Zaman auf den Polizeiposten zur Identitätsfeststellung mitgenommen und bleibt insgesamt 3 Tage in Haft, dies wegen «Verdachts auf illegalen Aufenthalt».
Wir könnten noch den ganzen Rest dieser Sitzung mit weiteren Beispielen von Racial Profiling füllen, denn es sind keine Einzelfälle sondern ein strukturelles, tiefgehendes Problem. Es ist aber vor allem auch ein Problem, welches von den Behörden, insbesondere der Stadtpolizei, seit Jahren nicht ernst genommen oder sogar negiert wird. Davon zeugt auch die Medienmitteilung der Stadtpolizei zum EGMR-Urteil. Darin wird die diskriminierende Kontrolle als «Fehler» abgetan. Das ist nicht nur eine krasse Untertreibung, sondern macht die strukturelle Dimension unsichtbar. Es werden zwar Weiterbildungen für Polizist:innen durchgeführt, eine Personenkontroll-App wird verwendet und ein runder Tisch gegen Rassismus wird in regelmässigen Abständen mit entsprechenden Fachpersonen durchgeführt, das reicht aber nach unserer Ansicht klar nicht. Es braucht endlich strukturellen Wandel und tiefes Verständnis für Antirassismus. Bereits 2014 überwies dieser Rat ein Postulat von Ezgi Akyol (AL) für ein Pilotprojekt gegen Racial Profiling. Umgesetzt hat dies der Stadtrat genauso wie ein ähnliches SP-Postulat aus dem Jahr 2022 nie und auch gegen die sich in Kommissionsbehandlung befindende Parlamentarische Initiative der AL-Fraktion zur Einführung von Quittungen bei Personenkontrollen, ein international bewährtes Mittel gegen Racial Profiling, wehrt er sich.
So kann und darf es nicht weitergehen. Dass Mohamed Wa Baile nicht einmal eine Entschuldigung vom Stadtrat und der Stadtpolizei für die Verletzung seiner Grundrechte bekommen hat, ist beschämend und inakzeptabel. Wir fordern, dass der Stadtrat das EGMR-Urteil zum Anlass nimmt, Racial Profiling ernst zu nehmen. Bei der Stadtpolizei muss es strukturelle Änderungen geben. Und zwar jetzt. Es liegt nun an Karin Rykart als Vorsteherin des Sicherheitsdepartements weitere griffige Massnahmen vorzulegen. Es braucht eine viel intensivere Schulung der Polizei durch externe Fachpersonen. Es braucht eine Fehlerkultur, die ihrem Namen gerecht wird. Und es braucht eine Beschwerdestelle, welche nicht nur als eine Anlaufstelle für Betroffene funktioniert, sondern auch von der Polizei ernst genommen wird und entsprechende Kompetenzen hat. Auch die bereits erwähnten Quittungen könnten einen wichtigen Beitrag leisten. Das Geschäft ist aktuell in der Kommission.
Die Zeit für konsequente und griffige Massnahmen ist jetzt und wir halten die Sicherheitsvorsteherin an, das EGMR-Urteil ernst zu nehmen und entsprechenden Massnahmen gegen Racial Profiling zu ergreifen.
¹Dieses und das nächste Beispiel stammen aus dem Bericht Racial Profiling
Erfahrung • Wirkung • Widerstand der NGO humanrights.ch