Richard Wolff an der Verzweigung von Alfred-Escher-Strasse (links) und Mythenquai. Dieser soll gemäss der Mythenpark-Initiative einem Park weichen. Foto: Sabina Bobst
Normalerweise lassen ehemalige Stadträte ihre Ex-Kolleginnen unbehelligt arbeiten. Nicht so Richard Wolff. Der AL-Politiker ist seit Mai 2022 kein Stadtrat mehr. Daher konnte er nicht mitbestimmen, wie sich die Stadtregierung zur Mythenpark-Initiative stellt. Sie tut dies nicht in Wolffs Sinn und lehnt die Vorlage ab. Nun setzt sich Wolff öffentlich für ein Ja ein.
Herr Wolff, als die Mythenpark-Initiative 2021 eingereicht wurde, waren Sie noch Chef des zuständigen Tiefbauamts. Damals sollen Sie gesagt haben: «Der einzige Nachteil dieser Idee besteht darin, dass sie nicht von mir stammt.» Stimmt dieses Zitat?
Ja. Der Mythenpark ist eine begeisternde Idee, so naheliegend und selbsterklärend. Wenn es ihn je geben sollte, werden praktisch alle Freude daran haben.
Hätten Sie sich im Stadtrat für die Initiative eingesetzt, wenn Sie im Amt geblieben wären?
Aufgrund der mir damals und heute bekannten Fakten auf jeden Fall.
Dann würde der Stadtrat nun den Mythenpark befürworten, statt ihn abzulehnen?
Das ist sehr hypothetisch und daher schwierig zu beurteilen.
Ihre früheren Regierungskolleginnen und -kollegen sagen, dass ein 250-Millionen-Franken-Tunnel nötig sei, um den Mythenpark zu realisieren. Sind Sie zum Tunnelbefürworter geworden?
Niemand will diesen Tunnel. Er ist die falsche Lösung und ein Totschlagargument. Die Idee dafür kommt aus der Verwaltung und nicht von den Initianten. Bei der Initiative geht es allein um die Frage: Wollen wir am linken Seeufer einen durchgehenden, breiten Park? Wie wir dieses Ziel erreichen, folgt an zweiter Stelle. Zur Umsetzung würde es später eine weitere Volksabstimmung geben.
Auch ohne die Aufhebung des Mythenquais wird es am Seeufer in der Enge schon bald eine durchgehende Grünfläche geben.
Ursprünglich war der Mythenquai ein Teil des Parks. Arnold Bürkli, der die Seeuferanlage gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwarf, stellte sich an dieser Stelle sicher keine lärmige Durchgangsstrasse vor. Der Park wäre viel schöner und ruhiger ohne eine viel befahrene Achse im Rücken.
Laut Stadtrat bleibt der Flächengewinn durch eine Aufhebung des Mythenquais bescheiden. Der Aufwand lohne sich daher nicht.
Der Stadtrat zieht die zwei Portale des Tunnels von der gewonnenen Fläche ab. Seine ganze Argumentation stützt er auf den Tunnel ab, obwohl dieser in der Initiative gar nie Thema war. Ohne Tunnel und dessen Eingänge macht die Aufhebung des Mythenquais hingegen einen entscheidenden Unterschied. Teilweise würde sich die Breite des Parks dadurch fast verdoppeln. Es könnten gegen 20’000 Quadratmeter Parkfläche gewonnen werden – nicht nur 4500, wie der Stadtrat sagt. Ausserdem braucht es den Mythenquai als Strasse gar nicht wirklich.
Das müssen Sie erklären. Immerhin fahren an einem Werktag rund 12’500 Autos dort durch.
Das ganze linke Seeufer entlang hat die Seestrasse nur zwei Spuren. Das bleibt auch in der Stadt so, bis zur Sukkulentensammlung. Dort teilt sich die Seestrasse in den Mythenquai und die Alfred-Escher-Strasse auf. Dadurch gibt es auf einmal doppelt so viele Spuren. Neuer Verkehr kommt aber nicht hinzu. Die Notwendigkeit für eine solche Verdoppelung fehlt also komplett. Das zeigt auch die Grossbaustelle, die es bis vor kurzem am Mythenquai gab.
Inwiefern?
Wegen der Arbeiten lief der Verkehr oft nur in eine Richtung. Die Hälfte wurde umgeleitet. Mehr Stau gab es deswegen nicht. Das legt nahe: Es gibt Spielraum für Lösungen ohne Tunnel.
Bei einer Umleitung würden Tausende von zusätzlichen Autos durch die Alfred-Escher-Strasse fahren. Für die rund 300 betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner bedeutete das mehr Lärm. Am Mythenquai hingegen wohnt niemand. Ist es daher nicht logisch, den Verkehr dort durchzuführen? Und die Alfred-Escher-Strasse auf Tempo 30 zu verlangsamen, wie der Stadtrat dies möchte?
Es gibt schöne Wohnungen an der Alfred-Escher-Strasse. Aber sie ist schon heute keine Wohnstrasse. Für die Menschen dort wäre der Mehrverkehr sicher unangenehm. Aber der Gewinn, den der Mythenpark für die ganze Stadt bedeutete, würde eindeutig überwiegen. Ausserdem sollten wir generell über eine Einschränkung des Verkehrs in Zürich nachdenken. Davon würden die Menschen in der Alfred-Escher-Strasse profitieren. Tempo 30 kann dort so oder so eingeführt werden.
Das Initiativkomitee sagt, dass sich die Umleitung ohne Kapazitätsbeschränkung umsetzen lässt.
Vielleicht ist das möglich. Verkehrsmässig scheint mir noch vieles unklar. Wäre es wirklich der Knoten beim Swiss-Life-Hauptsitz, der den Verkehr nicht schlucken könnte? Sind es nicht eher der Bürkliplatz oder das Bellevue, welche die Kapazität bestimmen? Diese Fragen soll man ausführlich ansehen.
Das ist schon geschehen. Das Tiefbauamt hat 20 verschiedene Varianten geprüft. Die 19 Nicht-Tunnel-Ansätze sind als «nicht zweckmässig oder nicht machbar» ausgeschieden.
Diese 19 Szenarien sind nicht öffentlich. Es würde sich lohnen, den Prozess nochmals aufzutun und verschiedene Verkehrsbüros Vorschläge ausarbeiten zu lassen, wie eine Lösung ohne Tunnel aussehen würde.
Heisst das, dass Sie Ihrem ehemaligen Amt nicht trauen?
Überhaupt nicht. Aber solche Fragen sind sehr komplex. Abklärungen brauchen mehr Zeit. Und in schwierigen Fällen lohnt es sich immer, externe Fachleute beizuziehen.
Sehen Sie den Mythenpark nicht einfach als Mittel, um den Autoverkehr zu bekämpfen?
Das Ziel ist ein Park. Falls ein solcher die Verkehrskapazität einschränkte, wäre das kein Drama. Im Gegenteil. Eine Verringerung des Autoverkehrs passt perfekt in die politische Ausrichtung der Stadt Zürich. Das zeigen mehrere klar gewonnene Volksentscheide. Die Stadt muss ihren CO2-Verbrauch stark senken. Da macht es Sinn, wenn man auch die Autofahrten auf Stadtgebiet reduziert. Ausserdem wünschen sich die Zürcherinnen und Zürcher mehr Grünflächen. Daher wäre der Mythenpark «der Fünfer und das Weggli». Wir erhalten mehr Grünraum für weniger Verkehr.
Der Kanton müsste einer Aufhebung des Mythenquais zustimmen. Das wird er kaum tun. Vor allem nicht, wenn dies eine Kapazitätsbeschränkung beinhaltet.
Ich glaube nicht, dass man die Stadtentwicklung den Autos unterordnen sollte. Unser oberstes Ziel sollte eine klimafreundliche Stadt mit hoher Lebensqualität sein. Ausserdem wissen wir nicht, was der Kanton sagen wird. Auch die Kantonsbevölkerung spaziert gerne in der Stadt am Zürichsee.
Der Anti-Stau-Artikel, der in der Kantonsverfassung steht, verbietet einen Kapazitätsabbau auf Zürcher Strassen. Dagegen kann die Stadt nichts tun.
Dem Gegenvorschlag zur Anti-Stau-Initiative hat die kantonale Bevölkerung vor knapp sieben Jahren zugestimmt. Seither wurde er nie auf die Probe gestellt. Ich glaube, dass der Artikel übergeordneten, ebenfalls demokratisch legitimierten Zielen wie der Klima- und Umweltpolitik widerspricht. Deshalb kann er nicht uneingeschränkt gelten. Die Aufhebung des Mythenquais wäre ein guter Anlass, ihn auf juristischem Weg infrage zu stellen. Das könnte die Stadt Zürich leisten.
Sie preisen den Mythenpark als Verwirklichung links-grüner Stadtideen. Trotzdem sind SP und Grüne dagegen. Wie erklären Sie das?
Ich verstehe auch nicht, warum die Begeisterung nicht grösser ausfällt. Am Anfang waren SP und Grüne dafür. Vermutlich hat der vermeintliche Sachzwang «Tunnel» alle in die falsche Richtung geführt. Ohne Tunnel ist der Mythenpark auch gar kein so riesiges, utopisches Projekt, wie man ihn gerne darstellt. Eine Strasse zu sperren und umzuleiten, ist keine Zauberei. Eigentlich geht die Initiative zu wenig weit. Im Idealfall würden wir das ganze Seebecken vom Verkehr befreien. Aber das wäre ein anderes Projekt, für das es umfassendere Verkehrskonzepte bräuchte.
Es ist ungewöhnlich, dass sich ein Stadtrat weniger als zwei Jahre nach seinem Rücktritt in die Geschäfte seiner Nachfolgerin einmischt. Warum tun Sie das?
Die Ex-Bundesräte haben mit ihren Aussagen zur 13. AHV-Rente eine riesige Diskussion zu dieser Frage entfacht. Ich verstehe diese Aufregung nur halb. Es gibt kein Gesetz, das ehemaligen Regierungsmitgliedern das Reden verbietet. Ich war und bin Stadtentwickler. Als solcher äussere ich mich zu gesamtstädtisch wichtigen Fragen. Ich sehe da kein Problem.
Vermissen Sie vielleicht Ihr Amt?
Ab und zu kommt das vor. Aber ich geniesse vor allem die neu gewonnene Ruhe. Bei den Wahlen 2022 bin ich sehr bewusst nicht wieder angetreten.
Interview mit Beat Metzler, Tagesanzeiger online 15. Februar 2024