Sie wird gross, die städtische Wohnsiedlung über dem Tramdepot Hard am Escher-Wyss-Platz. Der imposante Rohbau steht inzwischen, die beiden über 60 Meter hohen Hochhäuser können von weitem gesehen werden. Auch nicht zu übersehen, insbesondere von der Hardbrücke oder vom Wipkingerpark auf der anderen Seite der Limmat, ist das grossformatige Werbeplakat auf dem Baugerüst, welche von den Verkehrsbetrieben vermarktet wird. Darauf wurden beispielsweise während der Klimademo am 15. September Flugreisen angepriesen; um Weihnachten nutzt ein Online-Fast-Fashion-Anbieter die Fläche für die Verkündung seiner Botschaft.
Der einzelnen Person kann ich dabei keinen Vorfwurf machen, wenn sie der Werbung Folge leistet. Eine Flugreise zu unternehmen oder im Internet Billigkleider zu bestellen ist in unserer Gesellschaft inzwischen so normal, dass der Verzicht darauf als Akt der Rebellion angesehen wird. Umso mehr erstaunt es, dass eine solche Produkte überhaupt beworben werden müssen. Dies ist nötig, weil sie in Konkurrenz zu vielen anderen Möglichkeiten stehen, die dahinterstehenden Bedürfnisse wie etwa Entspannung, Ruhe, Abendteuer, Spass oder Ansehen zu befriedigen – insbesondere jenen Möglichkeiten, die nicht den Konsum von marktwirtschaftlich angebotenen Gütern beinhalten, wie etwa der Pflege von Freundschaften oder ein Spaziergang in der Natur. Die Anbieter geben deshalb jährlich Millionen von Franken aus, um uns das Bild im Kopf zu setzen, oder aufzufrischen, dass genau eine Flugreise oder eine neue Jeans die beste Lösung sei. Solche Werbung ist der erfolgreiche Versuch des Kapitals, uns in seinem Sinne zu Konsument·innen zu erziehen.
Es ist grundsätzlich fraglich, warum die Stadt die Gerüste ihrer Baustellen mit grossformatigen Werbeflächen versehen muss, um die vorherrschende, konsumortienerte Marktwirtschaft zu stützen. Auf das wenige Geld, dass sie einbringen, ist sie jedenfalls nicht angewiesen. Werden diese Flächen dann genutzt, um den Konsum anzuheizen – gerade jenen nach besonders klimadschädlichen Angeboten – so handelt sie gegen den Artikel 152 der Gemeindeordnung, welcher vorschreibt, dass die Stadt eine Reduktion der indirekten Treibhausgasemissionen pro Einwohner·in von dreissig Prozent gegenüber den Emissionen von 1990 anstrebt. Da die Stadt bei den indirekteten Emissionen, also jenen die nicht in der Stadt selbst entstehen, einen noch geringeren Handlungsspielraum hat als bei den direkten Emissionen, wird sie einen beträchtlichen Aufwand leisten müssen, mittels Anreizen und Aufklärung die Bevölkerung zu klimatverträglichen Möglichkeiten, ihre Bedürfnisse zu befüllen, zu animieren. Auf den eigenen Fassaden für Flugreisen oder für Fast Fashion zu werben wirkt solchen Bemühungen genauso entgegen, wie die vom Stadtrat geplante und dann vom Gemeinderat eingeschränkte Ausbau der Werbebildschirme.
Der Weg zu einer ökologisch und sozial nachhaltigen Stadt ist noch ein weiter; gewisse Massnahmen brauchen Jahrzehnte, bis sie umgesetzt sind. Andere liessen sich sofort anhand nehmen – wäre denn das Bewusstsein wenistens in den städtischen Dienstabteilungen sowie bei ihren Vorgesetzten im Stadtrat schon vorhanden.
In den «Vorschriften über das Anbringen von Reklameanlagen im öffentlichen Grund» regelt der Stadtrat bereits heute den Inhalt von Werbung und verbietet dabei Reklame, welche Personengruppen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts diskrimineren würde. Ebenso ist Werbung für Alkohol und Tabak verboten. Diese Inhaltsbeschränkungen sollen auf jene Industrien erweitert werden, die im klaren Widerspruch zum Artikel 152 der Gemeindeordnung stehen. Die Fassaden dieser Stadt nicht zu verwenden, um uns mit den der Werbung inhärenten psychologischen Tricks zu einem für die Allgemeinheit schädlichen Verhalten zu verführen, ist ein einfacher Schritt hin zu einer zukunftsfähigen Stadt.