Die Debatte um die städtische Verordnung zur Umsetzung von § 49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG, Mindestanteile preisgünstiger Wohnungen bei Aufzonungen) hat im Gemeinderat hohe Wellen geworfen. Im Zentrum des Tornados: der erfolgreiche Antrag von Linksgrün, für preisgünstige Wohnungen lediglich – wie vom Kanton verlangt – Belegungsvorschriften (Personenzahl pro Zimmer) vorzusehen und auf Einkommenslimiten zu verzichten. GLP-Gemeinderat Nicola Cavalli diagnostizierte einem «schwarzen Tag für die Zürcher Wohnungspolitik». Und Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) fragte: «Was hat Rot-Grün da geritten?». Auch die lokalen Leitmedien stimmten in den Chor ein: Die NZZ titelte «Preisgünstige Wohnungen auch für Reiche» und der Tagi-Kommentator witterte die Linke «auf wohnpolitischer Irrfahrt».
Vier Wohnungskategorien
Worum geht es bei diesem Streit und worum nicht? Um die Kontroverse besser zu verstehen, zunächst ein kleiner Crashkurs zum nicht-spekulativen Wohnungsbau. Es gibt vier Kategorien mit unterschiedlichen Regulierungen: Städtische Wohnungen, freitragende gemeinnützige Wohnungen von Genossenschaften, subventionierte Sozialwohnungen und neu die preisgünstigen Wohnungen, die auf Grund von § 49b PBG erstellt werden.
Spielregeln für Stadtwohnungen
Investitionen in den Bau städtischer Wohnungen werden zwar mit Steuergeldern finanziert, bei der Bewirtschaftung fliessen jedoch keinerlei Subventionen. Bei der Vermietung werden voll kostendeckende Mieten verlangt, auf die Abschöpfung von spekulativen Marktrenditen wird verzichtet. Dieser – vom Stimmvolk 2010 mit überwältigendem Mehr beschlossene – Verzicht auf Spekulation wird von der Rechten regelmässig und völlig zu Unrecht als «Subvention» gebrandmarkt. Da die Stadtwohnungen in öffentlichem Besitz stehen, ist ihre Vergabe – mit gutem Grund – relativ stark reguliert. Es gibt Belegungsvorschriften und Einkommenslimiten, die während der ganzen Mietdauer eingehalten werden müssen. Bei Verstoss dagegen sind zunächst Ersatzangebote und als ultima ratio Kündigungen vorgesehen; allerdings gibt es Härtefall-Klauseln, etwa einen Umsiedlungs- und Kündigungsverzicht bei über 75-Jährigen.
Erfolgreiche Belegungsvorschriften bei Gemeinnützigen
Freitragende gemeinnützige Wohnungen in Kostenmiete werden primär von Genossenschaften angeboten. Genossenschaften sind private, zivilgesellschaftliche Selbsthilfe-Organisationen zur gemeinsamen Wohnraumbeschaffung. Mietzinse und Rechnungswesen werden von der städtischen Fachstelle Gemeinnütziges Wohnen kontrolliert. Ansonsten unterliegen Genossenschaften der Selbstregulierung. Die meisten kennen interne Belegungsvorschriften, in der Regel gilt: Zimmerzahl gleich Personenzahl plus 1.
Mit grossem Erfolg: Mit 32.2 und 35.2 Quadratmetern liegt der Pro-Kopf-Wohnflächenverbrauch bei Stadt- und Genossenschaftswohnungen unter dem in den übrigen Mietwohnungen (39.8 m2/Person) und weit unter dem Flächenkonsum im Wohneigentum (53.0 m2/Person).
Sozialwohnungen mit harten Kündigungsregeln
Die dritte Kategorie sind die subventionierten Sozialwohnungen, die oft fälschlicherweise mit dem gemeinnützigen Wohnungsbau der Genossenschaften gleichgesetzt werden. Hier gewähren Kanton und Stadt zinslose, rückzahlbare Darlehen zur Verbilligung. Im Gegenzug gelten strenge Regulierungen: plafonierte Erstellungskosten, Mietzinskontrolle durch den Kanton und harte Einkommens- und Belegungsvorschriften, die bei Verletzung umgehend zur Kündigung führen.
§ 49b PBG: Preisgünstige Wohnungen mit Belegungsvorschriften
Damit kommen wir zu den preisgünstigen 49b-Wohnungen, deren Zuteilung die Gemüter bereits in Wallung bringt, bevor die erste auf Stadtzürcher Boden überhaupt gebaut ist. Gestützt auf § 49b PBG können die Gemeinden bei Aufzonungen und Gestaltungsplänen, die zu einer Mehrausnützung führen, Mindestanteile an preisgünstigen Wohnungen einfordern. Das bedeutet, dass Investoren einen Teil ihrer Wohnungen dauerhaft zur Kostenmiete statt zu spekulativen Marktpreisen anbieten müssen. Diese können vom Bauherr selber erstellt und vermietet oder durch Abtretung von Teilflächen an einen gemeinnützigen Träger realisiert werden. Einzige Auflage für die Gemeinden, die 49b PBG anwenden: Sie müssen Vorschriften zur «angemessenen Belegung» erlassen. Dies geht auf einen Antrag von GLP-Kantonsrat Thomas Wirth zurück, der «eine neue Klasse von Profiteuren» verhindern wollte, die «in einem dereguliert günstigen Wohnraum übermässig Wohnflächen beanspruchen». Von Einkommenslimiten war in der ganzen Kantonsratsdebatte nie die Rede.
«L’état c’est moi»-Vorlage
Der extrem detaillierte Verordnungsentwurf des Stadtrats geht mit seinen 21 Artikeln und 42 Absätzen weit darüber hinaus. Daniel Leupi, den ich sonst politisch sehr schätze, hat mit der «UmV § 49b PBG», wie sie amtsdeutsch heisst, ein kleines Regulierungs-Monsterchen vorgelegt, das einen rigiden «L’état c’est moi»-Geist atmet: Laut Art. 2 bezweckt die Verordnung, «dass preisgünstige Wohnungen ausschliesslich durch die vorgesehene Zielgruppe genutzt werden.»
§ 49b PBG: Welche Kündigungskriterien sollen gelten?
Bei der Beurteilung der vorgeschlagenen Belegungs- und Einkommensvorschriften ist zu beachten, dass diese nicht nur beim Bezug, sondern während der gesamten Mietdauer einzuhalten sind und bei Verletzung der Mietvertrag zwingend gekündigt werden muss. Anders als bei Stadt und Genossenschaften besteht bei der kleinen Zahl von 49b-Wohnungen pro Überbauung praktisch keine Möglichkeit für ein Ersatzangebot. Die Kündigungsregel schlägt also voll durch.
Wohnungskündigungen sind ein einschneidender Eingriff. Bei Sozialwohnungen, die mit staatlichen Mitteln gezielt für bestimmte Gruppen verbilligt werden, herrschen harte Kündigungskriterien. Das ist nachvollziehbar. Die Frage, ob bei den 49b-Wohnungen, die privat finanziert und ohne staatliche Zuschüsse zur Kostenmiete angeboten werden, gleich rigide Vorschriften greifen sollen, muss jedoch sorgfältig politisch abgewogen werden. So hat die AL etwa bei der Mindestbelegung – leider ohne Erfolg – Härtefall-Ausnahmen für Haushalte mit schulpflichtigen Kindern und über 75-Jährigen beantragt, damit nicht bei Trennung/Scheidung oder bei Tod des Partners im vorgeschrittenen Alter automatisch ein Wohnungsverlust droht.
Liberale auf Mehr-Staat-Trip
Grotesk an der Debatte: Exponent:innen von FDP und SVP, die 2014 die Einführung von § 49b PBG erbittert bekämpft haben, fordern heute als selbsternannte Wohnungskommissare möglichst scharfe Bezugs- und Rausschmisskriterien von 49b-Wohnungen. Damals kämpfte das FDP-SVP-HEV-Komitee unterm Motto «Noch mehr Vorschriften und Bürokratie? Nein». Und FDP-Gemeinderat und HEV-Direktor Albert Leiser erklärte besorgt: «Die Gemeinden werden die Belegung vor Ort kontrollieren und den Vollzug anordnen müssen. Alle diese Vorschriften und Kontrollen führen zu einem «Gläsernen Bürger». Heute aber kann es Parteien, die liberal im Namen tragen oder dem Liberalismus das Wort reden, nicht rigide und bürokratisch genug sein.
Mit diesem Motto kämpften 2014 HEV, FDP, SVP & Co gegen die Einführung von § 49b PBG
Freisinniges Narrativ
Die Maskerade hat eine Vorgeschichte. 2011 hatten die Bürgerlichen die Abstimmung über den wohnpolitischen Grundsatzartikel und das Drittelsziel für den nicht-spekulativen Wohnungsbau krachend verloren. Angeführt vom späteren Gemeinderat Pablo Bünger lancierte eine Gruppe von freisinnigen Züriberg-Nachwuchstalenten 2013 als Retourkutsche die Einzelinitiative «Fairer wohnen bei Vater Staat – Fairness bei staatlich gestützten Wohnbauträgern». Anspruch auf eine Wohnung bei der Stadt oder einer Genossenschaft sollte nur solange bestehen, als der «Bruttolohn der Bewohner das Vierfache der Mietkosten nicht überschreitet». Zudem forderte Bünger – Orwell pur – es sei «dafür zu sorgen, dass Vergleichbarkeit und Transparenz der staatlich gestützten Wohnbauträger mittels einem zentralen, öffentlich zugänglichem, durch die Stadt geführtem Register sichergestellt wird».
Zwar scheiterte die Einzelinitiative Bünger mangels Unterstützung. Doch die damit lancierte Debatte wirkt weiter. Ziel ist es, den gemeinnützigen, nicht-spekulativen Wohnungssektor in staatlich regulierte Sozialwohnungen umzuwidmen, und dieses Narrativ im öffentlichen Diskurs zu verankern.
Pauperismus oder Wohnpolitik?
Die strategische Gegenposition der Linken brachte AL-Gemeinderat Andreas Kirstein in der Debatte prägnant und unaufgeregt auf den Punkt:
«Unser Ziel ist es den Anteil, der Wohnungen, die spekulativ weiterverkauft werden, zu minimieren und einen gesunden Anteil im Wohnungsmarkt zu haben, in dem kein Spekulationsgewinn gemacht wird. Bisherige Voten lassen eine Pauperismus-Stimmung aus dem 19. Jahrhundert aufkommen, Man will die Ärmsten der Armen mit Wohnraum beglücken. Und sobald es den Menschen besser geht, sollen sie sich sofort auf den spekulativ betriebenen Markt begeben. Das ist die Kernfrage dieser Vorlage: Wollen wir die Umsetzung von § 49b so eng fassen, dass sie schon fast eine Subjekthilfe wird, oder wollen wir als Stadt aktiv auf den Wohnungsmarkt einwirken, damit eine Strukturveränderung stattfindet. Letzteres wollen wir von Links-Grün.»