(Bild: Keystone)
Vor fast 13 Jahren war ein 1. Mai wie wir ihn nur zu gut kennen: Mehrere hundert Personen wurden rund um eine unbewilligte Demonstration am Nachmittag durch die Stadtpolizei am Helvetiaplatz und dem Kanzleiareal präventiv eingekesselt, verhaftet und weggewiesen. Solche Polizeieinsätze sind in der Stadt Zürich nicht nur gängige Praxis, um nicht bewilligte Demonstrationen im Keim zu ersticken, politisch wurden sie bisher auch seitens des Stadtrats wiederholt verteidigt und als «verhältnismässig» eingestuft. Gegen diese Vorgehensweise wehrten sich einige Betroffene der Einkesselung vom 1. Mai 2011. Gestern hat ihnen nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte recht gegeben.
Die Stadtpolizei Zürich hat mit der präventiven Einkesselung und den anschliessenden Verhaftungen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt. Dies bedeutet, dass diese polizeiliche Praxis und die anschliessende Verhaftung einen unzulässigen Freiheitsentzug – und nicht wie bisher vom Stadtrat behauptet “eine Personenkontrolle” – darstellen. Mit diesem Urteil steht somit fest, dass in unserer Stadt staatliche Organe Grundrechte ihrer Bewohner:innen verletzt haben. Fehler kommen auch im besten aller Rechtsstaaten vor. Wenn man aber Fehler begeht, muss man aber auch für diese geradestehen und das hätten wir auch vom Stadtrat erwartet. Dass es zur Richtigstellung einen Entscheid des EGMR benötigt, ist für uns beschämend.
Die Alternative Liste begrüsst dieses Urteil, denn es zeigt deutlich, dass die langjährige Praxis von Einkesselungen und Festhaltungen seitens der Stadtpolizei nicht grundrechtskonform ist und in einem Rechtsstaat mit Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit nichts zu suchen hat. In multiplen schriftlichen Anfragen, Erklärungen und Vorstössen hat die AL seit Jahren darauf hingewiesen und eine entsprechende Praxisänderung gefordert. Genau das ist aber bisher nicht passiert: Die Stadtpolizei hat diese problematische Praxis bis heute weitergeführt. Auch dieses Jahr verlief der Polizeieinsatz am 1. Mai ähnlich wie jener von 2011. Wie damals wurden auf dem Kanzleiareal hunderte Menschen präventiv eingekesselt, festgehalten und teilweise festgenommen.
Für die AL ist klar: Diese Praxis muss aufhören. Sie stellt eine Verletzung essentieller Menschenrechte und eine nicht gerechtfertigte staatliche Repression der Versammlungsfreiheit dar. Wir erwarten von der Stadtpolizei, dass sie sich zukünftig in ihren Einsätzen an die Bundesverfassung und die Europäische Menschenrechtskonvention hält und zwar unabhängig davon, ob eine Demonstration bewilligt wurde oder nicht. Der Stadtrat muss die Vorgehensweise der Stadtpolizei dementsprechend anpassen. Dieser Prozess muss nicht nur unmittelbar beginnen, sondern auch für die Bevölkerung transparent durchgeführt werden. Wir erwarten, dass der Stadtrat die entsprechenden Dienstanweisungen öffentlich zugänglich macht, sodass auch die Bevölkerung die Gewissheit hat, dass die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Zürich gewährleistet ist.