Ob Lehrpersonen, Handwerker:innen oder Softwareingeneur:innen, der Fachkräftemangel betrifft pratkisch alle Berufsgruppen in der Schweiz. In keinem Feld fehlen aber so viele Spezialist:innen wie im Gesundheitswesen. Bereits vor der Corona-Pandemie war der Mangel hier gross, seither ist er aber zu systemisch kritischer Grösse angewachsen. Nicht nur werden weiterhin viel zu wenige Pflegende und Ärzt:innen ausgebildet, reihenweise verlassen Angestellte bereits wenige Jahre nach Abschluss ihrer Ausbildung den Gesundheitsbereich bereits wieder. Grund dafür sind wohl grösstenteils die miserablen Arbeitsbedingungen. Während der Bund aber mit der Umsetzung der Pflegeinitiative auf sich warten lässt, liegt es deshalb nun an den Kantonen und Gemeinden, möglichst schnell Verbesserungen für ihre Angestellten und damit für das Gesundheitssystem als Ganzes zu ermöglichen.
So überraschte die Nachricht vor wenigen Wochen wenig, dass die Stadt Affoltern die Wochenarbeitszeit von über zwei Drittel ihrer Spitalangestellten künftig um vier Stunden senken will. Die Stadtpräsidentin Eveline Fenner erhofft sich dadurch eine «erhöhte Attraktivität» am Arbeitsmarkt. Mit dem Spital Affoltern versucht nun also bereits das zweite Spital im Kanton Zürich den Fachkräftemangel mit einer Reduktion der Arbeitszeit zu mildern. Das Spital Wetzikon, das die Arbeitszeit letztes Jahr für alle Pflegenden um 10 Prozent kürzte, zeigt aber, dass noch viel mehr erreicht werden kann als nur mehr Attraktivität für potenzielle Angestellte. So gab es seit der Umstellung in Wetzikon weniger Kündigungen und Krankheitsfälle sowie eine höhere Mitarbeitendenzufriedenheit, meinte vor kurzem ein Geschäftsleitungsmitglied des Spitals. Ein Modell also, das eigentlich alle gerne kopieren würden.
Dass solche progressiven Massnahmen in als verhältnismässig konservativ geltenden Landgemeinden wie Wetzikon und Affoltern am Albis und nicht in der „linken“ Grossstadt Zürich passieren, wirkt vielleicht überraschend. Das Gesundheitsdepartement unter GLP-Stadtrat Andreas Hauri scheint aber mit vermeintlich wichtigeren Themen beschäftigt zu sein. Offenbar liegt der Fokus aktuell auf dem Versuch, das Stadtspital in eine öffentlich-rechtliche Anstalt auszulagern. Proaktiv die Arbeitsbedingungen zu verbessern, steht für die Spitalleitung anscheinend momentan nicht auf dem Programm. So stellte sich der Stadtrat beispielsweise gegen Vorstösse zu mehr Stellen im Pflegebereich oder einem Pilotprojekt für eine 35 Stunden Woche für Schichtpersonal in städtischen Gesundheitsbetrieben. Dank der linken Mehrheit im Stadtzürcher Gemeinderat fanden aber trotzdem beide Initiativen eine Mehrheit.
Genau solchen Eingriffen durch die Politik will Hauri nun aber mit seiner geplanten Auslagerung künftig zuvorkommen. Als öffentlich-rechtliche Anstalt würden für das Stadtspital nur noch die grossen Eckpunkte des städtischen Arbeitsrechts gelten. Über Dinge wie die Arbeitszeit könnten künftig die gewählten Vertreter:innen im Parlament nicht mehr entscheiden. Eine Auslagerung würde folglich nicht nur das demokratische Mitbestimmungsrecht der Stadtzürcher Bevölkerung einschränken, sondern wohl auch dringend benötigte progressive Reformen des Stadtspitals verhindern. Bereits eine dieser Tatsachen sollte genügen, dass die Vorlage vom Gemeinderat gestoppt wird. Zu zweit sind sie ein Totschlagargument. Nur wenn das Stadtspital eine Dienstabteilung bleibt, kann sichergestellt werden, dass die Gesundheitsversorgung für die Stadtzürcher Bevölkerung auf einem hohen Niveau bleibt und die Arbeitsbedingungen für die Angestellten gleichzeitig fair und zukunftsfähig sind. Die von Stadtrat Hauri geplante Auslagerung gilt es deshalb klar zu verhindern.
“Meh Biss” in P.S. vom 25. August 2023