1988, als ich beim Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband begann, war die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt – so hiess die Swiss Life damals – eine Vorzeige-Vermieterin. Sie vergab ihre Hypotheken einen Viertelprozent günstiger als die ZKB und berechnete die Mieten entsprechend auch mit einem ¼% tieferen Hypozins. Damals war sie noch eine Genossenschaft auf Gegenseitigkeit, Überschüsse kamen den Versicherten zugute, die zugleich Genossenschafter:innen waren.
38’500 Wohnungen, 5’000 in der Stadt Zürich
Im Zuge der neoliberalen Welle wurde die Rentenanstalt 1997 in eine börsenkotierte Aktiengesellschaft umgewandelt, die 600’000 Genossenschafter:innen erhielten Aktien zugeteilt. Allerdings erfolgte danach eine rasche Konzentration des Aktienbesitzes. Aktuell sind noch 166’814 Aktionär:innen eingetragen und 0.73% davon kontrollieren knapp zwei Drittel aller Aktien. Die grössten Aktenpakete halten der US-Investment-Manager BlackRock (5.3%) und die UBS-Fonds (3.09%). Heute gehört die Swiss Life zu den aggressivsten Playern in der Immobilienszene, sowohl was die Kauf- wie die Mietpolitik angeht. Schlagzeilen machte vor vier Jahren der Kauf eines SRF-Grundstücks in Seebach für 81 Mio Franken (12’700.- pro m2); die Stadt Zürich war bei 40 Mio Franken aus dem Bietverfahren ausgestiegen. Lange Zeit war die Swiss Life der unbestrittene Platzhirsch, mit der Fusion von UBS und CS musste sie diesen Spitzenplatz abgeben. Ihr Schweizer Immobilienbesitz hat einen Bilanzwert von 35.1 Milliarden Franken und umfasst 38’500 Wohnungen, davon allein rund 5’000 in der Stadt Zürich, und zahlreiche Geschäftsliegenschaften.
Doppelt profitables Asset Management
Zum eigenen Portfolio hinzu kommen die Liegenschaften, die über das Asset Management bewirtschaftet werden. 2009, 2011 und 2017 hat die Swiss Life drei Immobilien-Anlagestiftungen für Pensionskassen und 2015 den Immobilienfonds «Swiss Properties» gegründet, der Pensionskassen und Grossanleger:innen vorbehalten ist. Bei diesem Geschäftsmodell – das auch andere Versicherungskonzerne wie AXA und Zurich oder die Swiss Prime Site AG praktizieren – profitiert sie gleich doppelt. Da ein schöner Teil der Fonds- und Stiftungsliegenschaften aus dem Portfolio der Swiss Life stammt, macht diese zunächst mit dem Verkauf einen ersten Reibach. Anschliessend kassiert sie – zusätzlich zu den ordentlichen Bewirtschaftungskosten – fürstliche Managementgebühren, die prozentual an den Verkehrswert der Liegenschaften und damit an die Höhe der Mieten geknüpft sind. Diese management fees machen zwischen 12% und 21% der Mieteinnahmen aus, 2022 brachten sie der Swiss Life rund 50 Mio Franken ein.
Frostige Zeiten für Mieter:innen…
In 21’000 Wohnungen – mehr als der Hälfte des Bestands – will die Swiss Life dieses Jahr die Miete erhöhen. Das spült ihr 30 – 40 Mio Franken zusätzlich in die Kasse – willkommene Munition für die nächste Dividendenerhöhung. Das bestreitet zwar CEO Patrick Frost. Der «Löwenanteil» der Mehreinnahmen komme den Versicherten zugut, «weniger als 10 Prozent» davon flössen an die Aktionär:innen.
…Manna für Aktionär:innen
Allen Beteuerungen zum Trotz: Ein schöner Teil der Immobilienprofite fliesst in die ständig steigenden Dividenden. Fakt ist, dass die Swiss Life in den letzten 20 Jahren eine überaus aggressive Gewinnausschüttungspolitik verfolgt hat und weiterhin verfolgt. Nach einem mehrjährigen Taucher im Gefolge der Finanzkrise hat sie ab 2012 die Dividende von 4.50 kontinuierlich auf 30 Franken pro Aktie erhöht. Für die Geschäftsjahre 2004 bis 2022 hat die Swiss Life insgesamt 6’900 Mio Franken Dividenden ausgeschüttet, davon mehr als Hälfte steuerfrei. Von 2004 bis 2010 setzte sie den Nennwert der Aktien schrittweise von 50 auf 5.10 Franken herab und bezahlte den Reduktionsbetrag – rund 1.5 Milliarden Franken – als steuerfreie Dividende aus – ein Steuerumgehungsrezept, das in den 1990er-Jahren vom Shareholdervalue-Papst Martin Ebner entwickelt wurde. 2011 bis 2018 folgte dann – Bundesrat Merz und der Unternehmenssteuerreform II von 2008 sei Dank – die steuerfreie Ausschüttung der vorhandenen Kapitaleinlagereserven, nochmals rund 2 Milliarden Franken! Zum Abschluss wurde 2019 nochmals der Aktien-Nennwert von 5.10 auf 10 Rappen herabgesetzt.
Protest an der Swiss Life-Generalversammlung
Diese ständige Umverteilung von Mieter:innen zu Kapitalbesitzer:innen wollte sich Kleinstaktionär Ernst Joss, AL-Gemeinderat aus Dietikon und früherer Mitarbeiter der Rentenanstalt, nicht weiter gefallen lassen. An der Generalversammlung vom 28. April 2023 stellte er den Antrag, auf die vorgeschlagene Dividendenerhöhung von 25 auf 30 Franken pro Aktie zu verzichten und die freiwerdenden Mittel für gezielte Mietzinsreduktionen einzusetzen. Mit den 150 Mio Franken könnten alle Swiss-Life-Mieten in der Schweiz um einen Achtel oder die Hälfte um einen Viertel reduziert werden. Verwaltungsratspräsident Rolf Dörig konterte sec: «Das ist sehr sozial gedacht. Aber wir sind keine Genossenschaft mehr.» Ernst Joss erhielt Applaus von den Anwesenden, sein Antrag wurde mit 12.4 Millionen gegen 11’624 Stimmen abgeschmettert.