Das Trauerspiel um die Zweitwohnungs-Motion der AL geht in eine neue Runde. Nach 10 Jahren Verschleppung hat der Gemeinderat im Januar 2020 vom Stadtrat verbindlich eine Umsetzungsvorlage verlangt. Im Juli 2020 wurde die BZO-Revision öffentlich aufgelegt, im September 2021 stimmte der Gemeinderat zu und im April 2022 folgte die Festsetzung durch den Stadtrat. Seither blockiert ein Rekurs von vier Anbietern von Business-Apartments das Ganze.
Nun sind in dieser ärgerlichen, aber bei BZO-Revisionen nicht ungewöhnlichen Konstellation Politik und Behörden keineswegs machtlos. § 234 des Planungs- und Baugesetzes (PBG) kennt dazu das Institut der sogenannten negativen Vorwirkung. Damit soll verhindert werden, dass verbindlich beantragte oder bereits beschlossene planungsrechtliche Festlegungen, die aber noch nicht in Kraft sind, durch bauliche Massnahmen oder Nutzungsänderungen «nachteilig beeinflusst», sprich unterlaufen werden.
Nix § 234 PBG, nix negative Vorwirkung…
Also wollte die AL mit der Anfrage GR 2023/155 wissen, ob und wieweit sich der Stadtrat auf § 234 PBG stützt, um der bereits festgesetzten Zweitwohnungs-Regelung trotz hängigen Rekursen Nachachtung zu verschaffen. Totale Fehlanzeige. Die negative Vorwirkung – belehrt uns der Stadtrat – schütze lediglich «Regelungen, die einen planerischen Gehalt aufweisen». Wohnanteilvorschriften zählen nach Lesart von Andrés Hausjuristen im Hochbaudepartement offenbar nicht dazu. Au weia! Da wären sie bei Professor Alain Griffel im Mai 2017 aber glatt durch die Master-Prüfung gerasselt. Der wollte im Prüfungs-Modul «Raumplanungs- und Baurecht» nämlich wissen, ob Wohnanteilsvorschriften Normen seien, «die einen planerischen Gehalt aufweisen» und damit eine negative Vorwirkung auslösen können. Korrekte Antwort: Ja. Genauso wie Griffel sieht es auch die Stadt Bern, die im Februar 2022 eine vergleichbare Zweitwohnungs-Regelung erlassen hat. Die Weisung an das Parlament hält fest, dass ab der öffentlichen Auflage «die neue Regelung Vorwirkung entfaltet».
… dafür grosszügige Besitzstandsgarantie
Dann wollte die AL vom Stadtrat weiter wissen, ob und bis zu welchem Zeitpunkt für bisherige Business-Apartments-Nutzungen eine Besitzstandsgarantie besteht. Laut Stadtrat gilt diese für alle Nutzungen, die vor der Festsetzung der BZO-Revision im April 2022 bestanden. Spätestens seit der amtlichen Planauflage im Juli 2020 wussten zwar alle, dass eine BZO-Revision im Gang war. Aber der rot-grüne Stadtrat hält gnädig seine schützende Hand über die Schlaumeier, die auch in den zwei Jahren danach neue Business-Apartments auf den Markt brachten.
Auch das sieht man in der Stadt Bern komplett anders. Im Antrag zur Neuregelung schreibt der Gemeinderat:
«Die (neu widerrechtliche) Nutzung ist aber nur geschützt, soweit dafür eine wesentliche bauliche Investition getätigt wurde. Sind für die kurzfristige Vermietung keine Investitionen getätigt worden bzw. können die Wohnungen ohne weiteres auch vorschriftskonform benutzt werden, besteht nach kantonalem Recht keine Besitzstandsgarantie. Dies dürfte bei den meisten der bisherigen Ange-bote der Fall sein.»
Kein Plan, keine Ressourcen für aktive Umsetzung
Als Letztes wollte die AL wissen, ob der Stadtrat nach Inkrafttreten der BZO-Änderung einen Umsetzungsplan hat, z.B. indem er alle bekannten Anbieter von Business-Apartments und Plattform-Wohnungen anschreibt und für die nach Juli 2020 umgenutzten Wohnungen ein nachträgliches Bewilligungsverfahren einleitet. Auch hier erneut Fehlanzeige. Für ein flächendeckendes Monitoring fehle es an Ressourcen. Und überhaupt seien auch Nutzungsänderungen ohne bauliche Massnahmen bewilligungspflichtig und bei Bewilligungsgesuchen bestehe «eine Deklarationspflicht über die Art der Wohnnutzung». Damit ist die Welt für die juristischen Schreibtischtäter im Amtshaus IV wieder in Ordnung. Fazit: «Die Baubehörde wird auf Anzeige hin aktiv.» Ein echt doppeldeutiger Satz: Sind da Nest Temporary, Zurich Relocation & Co gemeint, die sich melden sollen, um ihrer «Deklarationspflicht» nachzukommen, oder Bürger:innen, die der Bausektion auf die Sprünge verhelfen? Die AL hält jedenfalls eine umfangreiche Liste bereit.
André, wir müssen reden.