«Alles für alle» lautet das Motto der diesjährigen 1.-Mai-Demonstration. Wie kam es dazu? Und vor allem: Wie absolut ist das gemeint?
Sarah Casutt: Wir wollten unsere Forderungen mit einer neuen Parole auf den Punkt bringen. Frisch, klar und kämpferisch sollte es sein. Ein Motto, das man sich merken kann und das einen Denkanstoss gibt. Unsere Botschaft und unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir uns für alle Menschen einsetzen wollen, die heute marginalisiert sind. Alle sollen Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben, einen fairen Lohn bekommen, Zugang zum Gesundheitssystem und Teilhabe am kulturellen, politischen Leben haben. Alle. Das ist heute nicht gegeben. Dafür kämpfen wir und gehen auf die Strasse.
«Wir», das ist nicht mehr die alte Garde. Das 1.-Mai-Komitee hat sich praktisch komplett neu aufgestellt. Wie ist es dazu gekommen?
Nach der letztjährigen Demo gab es tatsächlich recht heftige Diskussionen darüber, wie inklusiv, zeitgemäss und repräsentativ dieser 1. Mai noch ist. Das Ganze war eher eingefahren und lief jahrelang nach dem gleichen Muster ab: SP und Gewerkschaften gaben den Takt an, die Juso und andere Organisationen wurden eingeladen und durften kurze Reden beisteuern. Eine echte Plattform bekamen soziale Bewegungen wie der Klimastreik oder das feministische Kollektiv nicht wirklich, obwohl sie sich definitiv auch für Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen, aber mit anderen Formen und Mitteln. Wir alle fordern gleiche Rechte für alle, auch für Finta-Personen: Frauen, Inter-, nonbinäre und trans Personen. Das widerspiegelt sich auch im neuen Organisationsteam. Es ist jünger, weiblicher und diverser geworden. Aktiv sind wir schon. Wie es nach dem 1. Mai offiziell mit dem Komitee weitergeht, wird sich zeigen.
Das tönt so, als wären die altgedienten Genossinnen und Genossen schon fast abserviert und mundtot gemacht worden?
Nein, nein, natürlich nicht. Aber es gab definitiv eine Zäsur. Die Entschlossenheit, mit der diese stattfand, hat, hat Einzelne, die lange für die Arbeiterunion engagiert waren, herausgefordert. Viele sagten aber auch: Okay, wir haben es lange genug gemacht. Jetzt probiert ihr es! Es ist ein Neustart mit vielen neuen Gesichtern. Von der SP ist zum Beispiel Stadtparlamentarierin Katja Hager dabei. Aber auch erfahrene Politikerinnen wie Renate Dürr von den Grünen ziehen immer noch mit.
Wenn man die Rednerinnenliste anschaut, scheint es, als ob der Schwerpunkt klar bei feministischen Themen liegt, also doch nicht sehr divers und ausgeglichen ist.
Es ist so, dass wir den 1. Mai auch als Plattform und Auftakt für den feministischen Streiktag vom 14. Juni nutzen wollen, für den national mobilisiert wird. Aber wenn man sich die Liste der Rednerinnen anschaut, merkt man, dass wir echter, direkter und näher dran sein wollen an der Basis und den realen Problemen. Zum Beispiel tritt Mandy Abou Shoak als Rednerin auf. Sie arbeitet in Zürich als Jugendarbeiterin und Sozialpädagogin, hat «Rassismus» in Lehrmitteln thematisiert und erfolgreich einen Podcast dazu lanciert, wie und wo man Widerstand leisten kann.
Was ist mit dem 1.-Mai-Umzug? Wir dieser auch komplett anders?
Nicht wirklich, wir treffen uns um 10.30 Uhr auf der Steinberggasse für die Demo. Und anschliessend findet das Fest mit Reden, Essen und Konzerten auf dem Neumarkt statt.
Das tönt friedlich. Wie sind die extremen Flügel um den revolutionären Aufbau eingebunden?
Der antikapitalistische Block wird auch mitlaufen. Und das ist gut so. Wir wollen einen kämpferischen 1. Mai. Wirkliche Absprachen mit dem Block gibt es nicht. Da war ich letztes Jahr übrigens auch mittendrin, umringt von Kinderwagen. So viel zum Thema Gewalt. Grundsätzlich sollen sich alle wohlfühlen, die mitlaufen. Dafür haben wir Awareness-Teams, an die man sich wenden kann. Es kommt gut!
Aus: Landbote 29. April 2023 (Interview: Till Hirsekorn)