Von «Kabinetten der Grausamkeiten» sprach David Garcia Nuñez gestern in Bezug auf den letzten Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter, der die Menschenrechtssituation bei Ausschaffungen am Zürcher Flughafen betrachtet. Zusammen mit Willi Wottreng hatte er im letzten November ein Postulat eingereicht, das eine polizeiunabhängige Kontrollinstanz bei Zwangsausschaffungen am Flughafen fordert. Stadtpräsidentin Corine Mauch solle dafür das städtische Verwaltungsratsmandat bei der Flughafen Zürich AG zur Einflussnahme nutzen. Mit einer umfassenden Textänderung von Nadina Diday (SP), die darüber hinaus noch den Einsatz des Stadtrats beim Vorsteher der kantonalen Sicherheitsdirektion, dem Kommandanten der Kantonspolizei sowie dem Chef der Flughafenpolizei forderte, fand der Vorstoss eine Mehrheit von AL bis GLP.
Besonders gravierend an dem Bericht findet der AL-Co-Fraktionspräsident, dass in manchen Fällen sogar Kinder in Handschellen festgehalten werden und diese auch immer wieder als «Dolmetscher:innen» zwischen den Behördenvertreter:innen und ihren eigenen Eltern herhalten müssen, während die Zwangsmassnahmen erfolgen. Garcia Nuñez benennt letzteres als «psychische Folter» an den Kindern, die, eigentlich Opfer in dieser Situation, sich ihren Eltern auf «Täter:innenseite» gegenüberstellen müssten.
Als Arzt habe er die unfreiwillige Dolmetscherrolle von Kindern schon im Spital miterleben müssen, woraufhin seine Fraktion 2019 erfolgreich eine Motion zum Thema eingereicht habe. In seinen fünf Jahren im Rat seien es solche Vorstösse zum Stadtspital, mit denen er bislang am meisten erreicht habe, erzählt er. Zum Beispiel, indem er mithalf, die geplante Auslagerung des Stadtspitals zu verhindern.
Zwar sei sein Kernthema die Gesundheitspolitik, doch die Vorstösse, die er im Rat einreicht, decken eine grosse Bandbreite ab: «Das geht, enger gefasst, von der Vertretung der Interessen der LGBTIQ-Community, etwas breiter über Diversity bis zum ganz breiten Begriff der Menschenrechte», erläutert er. Garcia Nuñez beschäftigt sich auch beruflich mit LGBTIQ-Anliegen: Der Psychiater und Psychotherapeut leitet den Innovations-Focus für Geschlechtervarianz am Universitätsspital Basel.
Zum Medizinstudium habe ihn sein proletarischer Hintergrund bewogen, erzählt er: «Ich wäre ursprünglich gerne Typografiker geworden. Aber mir war früh klar, dass ich mir so etwas nicht leisten kann, dass ich Verantwortung für die Familie übernehmen werden muss, auch finanziell.» Seine Eltern seien Mitglieder der spanischen Sozialdemokratischen Partei und im faschistischen Spanien im Widerstand gewesen. «Ich habe meine Kindheit in Partei- und Gewerkschaftszentren verbracht», erzählt der heute 47-Jährige. Nach dem Tod Francisco Francos und dem Übergang zur Demokratie seien sie bald enttäuscht gewesen von den personellen Kontinuitäten zwischen dem alten und dem neuen System. 1986 kam die Familie dann in die Schweiz. Seine Jugendjahre verbrachte Garcia Nuñez im Glarnerland: «Als Kind von Einwanderern und als queere Person stand ich dort immer am Rand. Ich wanderte zwischen den verschiedenen Welten, und war zwischen diesen auch immer als Dolmetscher unterwegs.»
Warum sind Sie Gemeinderat geworden?
Ich stamme aus einer politisch sehr aktiven Familie, wo ich gelernt habe, dass den unteren Schichten nie etwas geschenkt wird. Daher ist es wichtig, sich in die «öffentliche Sache» einzumischen und für die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen einzusetzen. Nach meiner Einbürgerung im 2010 war der Schritt in die parlamentarische Politik nur die logische Konsequenz dieser Haltung. Die Politik soll nicht über mich bestimmen, sondern mit mir verhandeln.
Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?
Ich bin (schon aus Berufsgründen) eine sehr gesellige Person und könnte mit vielen Menschen im Rat was trinken gehen. Bei Parlamentarier:innen, welche die Menschenrechte mit Füssen treten, ist allerdings auch bei mir eine Grenze erreicht. Mit (Proto-)Faschist:innen teile ich nicht einmal ein Glas Wasser.
Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?
Mich ärgert jede Abstimmung, bei welcher der Rat nicht der AL folgt. Am schwierigsten sind jedoch Abstimmungen, in denen SP und Grüne bestehende Ungerechtigkeiten nicht bekämpfen, sondern zementieren. Das Vergütungssystem für die Kaderärzt:innen im Stadtspital ist ein gutes Beispiel dafür. Ich kenne niemand in meiner Bubble, der:die städtische Löhne von 750’000 Franken im Jahr gutheisst. Rot-Grün haben das aber zusammen mit den Bürgerlichen im Rat durchgewinkt. So was ist ärgerlich. Sehr.