Am 3. Juni 2022 wurden zahlreiche Missstände rund um das MNA-Zentrum Lilienberg öffentlich. Zu verdanken war dies einer Gruppe von ehemaligen AOZ-Mitarbeitenden, welche den Gang an die Öffentlichkeit wagten, nachdem sie zuvor bei sämtlichen verwaltungsinternen Stellen von Kanton und AOZ kein Gehör fanden. Zusammen mit vier Kantons- und Gemeinderät:innen und in Rücksprache mit zahlreichen Kooperationspartner:innen wurden diese Missstände aufgearbeitet, belegt und daraus Sofortmassnahmen abgeleitet, welche ebenfalls am 3. Juni veröffentlich wurden.
Vier Monate haben die Verantwortlichen von Stadt und Kanton seither geschwiegen, beschwichtigt und vertuscht. Am 3. Juni selber wurden die ehemaligen Mitarbeitenden von der AOZ in deren Stellungnahme als «frustriert» verurteilt. Zu den von uns vorgeschlagenen Massnahmen haben weder der Auftraggeber (Kanton) noch die Beauftragte (AOZ) Stellung genommen. Den beiden involvierten Gemeinderäten sind zudem Vorwürfe gemacht worden, sie hätten vorgegebene Instanzenwege nicht eingehalten. Vier Monate ohne eine Stellungnahme, ohne namhafte Ergebnisse von verwaltungsinternen oder gemeinderätlichen Untersuchungen. Beschämend.
Gestern Morgen war Schluss damit. Die vom Regierungsrat bei der Schiess AG in Auftrag gegebene Betriebsprüfung zeichnet ein klares Bild – für diejenigen, welche in den letzten Monaten beschwichtigten und einzelne Gemeinderät:innen, aber auch ehemalige Mitarbeiter:innen öffentlich, aber auch hinter den Kulissen als Störer:innen verurteilten, ist er vernichtend.
Auf 12 Seiten wird detailliert ausgeführt, dass die von den Mitarbeitenden benannten Missstände zutreffend sind. Der Lilienberg wurde überfüllt. Die Liegenschaft ist für die Unterbringung von 90 Jugendlichen schlicht nicht geeignet. Dies war sowohl dem Kanton als auch der AOZ seit langem bekannt. In Aufsichtsberichten der Schiess AG aus den Jahren 2019 und 2021 – die dem Gemeinderat trotz wiederholter Anfragen bis heute nicht zugestellt worden sind – wurde schon lange darauf hingewiesen. Die Betreuungsressourcen reichen nicht aus, es mangelt an ausgebildetem Fachpersonal. Die Platzverhältnisse sind zu eng, es hat zu wenig sanitäre Anlagen, das Gebäude ist zu alt. Hygiene- und Gesundheitsstandart können nicht eingehalten werden. Die Situation werde von der AOZ beschönigt, die Kommunikation mit dem Transaktionsumfeld sei gestört. Besonders gravierend: die Leitungen geben aktuell an, alles laufe nun besser – dieser Darstellung wird im Bericht schwarz auf weiss widersprochen.
Die geschilderten Fakten lagen allerspätestens seit dem 3. Juni 2022 auf dem Tisch – AOZ intern schon früher. Trotzdem wurde weiterbeschwichtigt und geschwiegen. Dies zeigt sich in der faktenwidrigen Antwort von Mario Fehr auf die schriftliche Anfrage 282/2022 zum Thema «Aufsicht», welche einer Arbeitsverweigerung gleichkommt. So wird z.B. festgehalten, dass ein Aufsichtsbesuch 2021 keine Mängel gezeigt habe. Das Gegenteil ist der Fall. Wie viele Hinweise von Dritten an das KSA gelangt sind, wird gar nicht erst beantwortet. Diese würden gemäss Antwort nicht erfasst werden. Ignoranter geht kaum.
Mit der raschen Vergabe einer Sonderüberprüfung hat der Kanton immerhin richtig gehandelt.
Gestern musste Mario Fehr dadurch seinen Widerstand gegen die Eröffnung weiterer Aussenstellen aufgeben. Dieser Schritt kommt jedoch viel zu spät. Aktuell sind auf Anweisung des kantonalen Sozialamts 100 Jugendliche im Lilienberg untergebracht und 60 im Aubruggweg. Das ist eine fahrlässige Verletzung der von der Schweiz mit der Unterzeichnung der Kinderschutzkonvention eingegangenen Verpflichtungen, gegen die aufsichtsrechtlich vorgegangen werden muss.
Kurzfristige Abhilfe wird es nicht geben. Die Stellen für die erste der beiden neuen Unterkünfte sind von der AOZ eben erst ausgeschrieben worden. Neue Kollektivunterkünfte und damit Entlastung wird es im Lilienberg und im Aubruggweg erst 2023 geben.
Nicht bereit ist der Kanton, die Kosten für die dringend notwendige Anstellung zusätzlicher Sozialpädagog:innen zu übernehmen. Die Stadt Zürich wird bis im März 2024 einen hohen Millionenbetrag in die AOZ investieren müssen, weil diese einen Drittauftrag mit einem Preis offeriert hat, der nicht kostendeckend ist.
Bereits gehandelt, hat die Oberstufenschulpflege Affoltern – auf Druck des Lehrpersonals in den Auffangklassen im Lilienberg. Mit dem Bau von Pavillons auf dem Areal des Oberstufenschulhaus Ennetgraben können die Jugendlichen aus dem Lilienberg ab Februar 2023 in einem regulären Schulhaus unterrichtet werden.
Mit der Einsetzung einer Task-Force hat auch die AOZ gehandelt. Diese soll die schwerwiegenden Mängel in der Personalführung angehen. Wichtig ist, dass diese Task-Force auch mit Personen besetzt wird, welche effektiv mit den Jugendlichen arbeiten und AOZ-externen Stellen angehören. Weiter will die AOZ weitere Wohnplätze für junge Erwachsene bereitstellen. Mittel für die Betreuung sind im Budget 2023 der Stadt eingestellt worden. Wir erwarten, dass ein grosser Teil dieser Plätze in dezentralen WGs geschaffen werden, wie es der Gemeinderat schon seit langem fordert.
Wichtig ist zudem die Botschaft, dass die AOZ im Hinblick auf die Neuausschreibung des Vertrags mit Dritten zusammenarbeiten wolle. Dies öffnet die Tür für ein neues Konzept, das die Unterbringung in anonymen Grossheimstrukturen mit häufig wechselndem Personal hinter sich lässt und den Weg für eine neue Form der Integration öffnet.
Das Fenster für einen Neuanfang bei der Betreuung und Integration der ohne Familie geflüchteten Jugendlichen steht offen. Dies ist das Verdienst der ehemaligen Mitarbeiter:innen, die sich getraut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen, des Lehrpersonals der Auffangklassen im Lilienberg und den Fachpersonen von Family Help. Die Entwicklung dieser Tage zeigt, dass sich ihr Mut ausgezahlt hat.
An uns Gemeinderät:innen liegt es, die Veränderungen zu begleiten und nicht zu ruhen, wenn der Prozess nicht die gewünschten Wirkungen entfaltet. Zudem müssen wir dafür sorgen, dass der vom Gemeinderat gegen den Willen des Stadtrats eingeforderte Umbau der AOZ zu einer Fachorganisation, die Qualität garantiert, rasch umgesetzt wird. Ohne direkte Aufsicht des Gemeinderats über die AOZ wird das nicht gehen.