Daniel Schneebeli
Frau Sauter, für Ihre Handelskammer ist die Volksinitiative «Keine Steuergeschenke für Grossaktionäre» eine irreführende Initiative. Warum?
Regine Sauter: Es ist ein Etikettenschwindel. Die Initiative gibt vor, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu treffen. Sie malt das Bild von wohlhabenden, gut situierten Grossaktionären. Letztlich trifft die Steuererhöhung aber vorwiegend Inhaberinnen und Inhaber von Klein- und Mittelbetrieben, die in der Regel mehr als 10 Prozent ihrer Firmen im Eigentum haben. Das sind keine Grossaktionäre.
Wie sehen Sie das, Frau Badran?
Jacqueline Badran: Genau gegenteilig. Der Etikettenschwindel geschah, als man die privilegierte Dividendenbesteuerung mit der Unternehmenssteuerreform 2 einführte. Das sei super für die KMU, wie wenn ein Coiffeur oder ein Schreinerbetrieb die Hauptprofiteure davon wären. Von den rund 2,5 Milliarden Franken Dividenden, die jedes Jahr im Kanton Zürich ausgeschüttet werden, gehen 87 Prozent an Personen, die mehr als 100’000 Franken erhalten, die Hälfte geht sogar an Personen, die über eine Million bekommen. Wie soll sich ein Schreiner selbst solche Beträge ausschütten?
Sie sind als Inhaberin eines KMU mit rund 30 Angestellten selbst betroffen und könnten sich selbst Dividenden ausschütten.
Badran: Ja, aber solche Beträge sind jenseits unserer Reichweite, und wir haben ohnehin noch nie Dividenden ausgeschüttet. Weil wir mit dem Webdesign in einem volatilen Geschäft arbeiten, halten wir unsere Gewinne für die schlechteren Zeiten im Unternehmen.
Sauter: Eine Erhöhung der Dividendensteuer wird grosse Aktionäre ärgern, das streite ich gar nicht ab. Aber proportional trifft es sie weniger als die kleinen. Gemäss den Berechnungen des Kantons wird die Steuer bei einem Gewinn von rund 100’000 Franken um rund 7 Prozent steigen, bei einer Million Franken nur rund 6 Prozent. Man bestraft die Kleinunternehmer also sogar noch überproportional im Vergleich zu den wirklichen Grossaktionären. Im Unterschied zu den Kleinunternehmern sind Grossaktionäre flexibel und können ihren Wohnsitz in einen günstigeren Kanton verlegen. In praktisch allen umliegenden Kantonen zahlt man weniger Dividendensteuern, als es in der Initiative gefordert wird. Zusätzlich haben die Firmen dort auch tiefere Gewinnsteuern. Mit dieser Initiative wird der Kanton Zürich mutwillig schlechtergestellt.
Badran: Es ist immer die gleiche Leier, die Drohung mit der Abwanderung. Die Steuerbehörden machen es diesen Leuten nicht so einfach, wie Sie hier erzählen. Beim Verdacht von Scheinwohnsitzen sind sie heute ziemlich rigide geworden. Als die Pauschalbesteuerung von ausländischen Personen im Kanton Zürich abgeschafft wurde, sind nur einige wenige gegangen. Und ihre Villen an der Goldküste wurden sofort von ordentlich Besteuerten übernommen.
Sauter: Fakt ist, nach den aktuellsten Zahlen ziehen im Kanton Zürich mehr Unternehmen weg als neue dazukommen. Das ist in den umliegenden Kantonen anders.
Bei dieser Initiative geht es aber nur um die Dividendenbesteuerung und nicht um die Unternehmenssteuern.
Sauter: So einfach ist es nicht. Es geht für die Unternehmerinnen und Unternehmer um die Doppelbesteuerung. Die Dividenden wurden vor der Auszahlung schon einmal besteuert, bei der Gewinnsteuer der Unternehmen.
Badran: Das ist das unsinnigste Argument für dieses Privileg der Grossaktionäre. Am meisten mehrfach besteuert ist der Lohnfranken. In unserem System werden Transaktionen besteuert, wenn irgendetwas die Hand ändert. Wenn ich den Lohn bekomme, zahle ich Einkommenssteuer, wenn ich damit einen Kaffee kaufe, zahle ich Mehrwertsteuer, vorher hatte ich noch die Sozialabzüge. Das Wehklagen von Unternehmern ist deplatziert. Ein Unternehmen zahlt Gewinnsteuer, weil das Unternehmen auch staatliche Leistungen bezieht und die Infrastruktur nutzt. Ein Teil des Gewinns wird dann als Dividende ausgeschüttet. Dass diese Transaktion besteuert wird, ist vollkommen richtig. Es gibt keinen Grund, dieses Einkommen anders zu besteuern als einen Lohn.
Sauter: Vor drei Jahren haben wir über die heutige Lösung im Kanton Zürich abgestimmt. Wenn Frau Badran jetzt kommt und das ändern will, brechen wir ein Versprechen an die Bevölkerung. Dann nehmen wir das ganze Konzept auseinander. Das Volk hat damals Ja gesagt zum Gewinnsteuersatz für Unternehmen und zum Dividendensteuersatz von 50 Prozent. Die Initiative bricht nun willkürlich etwas aus diesem Steuerpaket heraus.
Ist es Wortbruch, wenn wir jetzt den Rabatt an die Grossaktionäre kürzen?
Badran: Selbstverständlich nicht. Bei der Abstimmung vor drei Jahren hat das Volk nicht explizit Ja gesagt zu einem privilegierten Dividendensteuersatz, sondern zu einem ganzen Steuerpaket. Es ist deshalb in Ordnung, wenn diese Privilegien für Grossaktionäre noch separat zur Diskussion gestellt werden. Das ist nicht willkürlich herausgepflückt, Frau Sauter. Es ist fundamental stossend, dass Dividendeneinkommen privilegiert werden.
Sauter: Es gibt kein Privileg.
Badran: Doch. Es heisst sogar offiziell so.
Sauter: Die Leute haben wie Sie in Ihrer Firma hart dafür gearbeitet…
Badran: …wie es die Lohnempfängerinnen und -empfänger auch tun.
Sauter: …und setzen ihr eigenes Vermögen ein. Sie tragen damit auch das Risiko, wenn es einmal nicht so gut läuft.
Badran: Kommen wir zurück zu den Fakten. 95 Prozent der Unternehmen zahlen in der Schweiz unter 10’000 Franken oder gar keine Steuern. Das sind Zahlen von Economiesuisse. Die Unternehmer in solchen Firmen schütten sich doch keine Dividenden aus. Sie sind froh, wenn sie sich einen anständigen Lohn zahlen können.
Wie rechtfertigen Sie es, dass Grossaktionäre auf ihre Dividenden nur halb so viele Steuern zahlen wie Kleinaktionäre, Frau Sauter?
Sauter: Die Eigentümer der Unternehmen tragen mit ihrem Eigentum das Risiko ihres Unternehmens. Das ist nicht der Fall, wenn Sie nur zwei Nestlé-Aktien besitzen. Sie sind dann nicht in die Entscheidungen der Firma einbezogen.
Badran: Es stimmt schon, Eigentümerin und Kleinaktionär ist nicht das Gleiche. Aber es gibt eine weitere Privilegierung. Es gibt Kleinunternehmer, die zahlen sich wegen der privilegierten Besteuerung weniger Lohn aus und schütten sich dafür mehr Dividenden aus. Auf die Dividenden zahlen sie keine AHV. Es ist schon fast ein Volkssport, dass etwa Anwälte, Zahnärzte deswegen plötzlich AG gegründet haben.
Sauter: Das ist eine Behauptung. Wenn es den Initianten darum geht, die Lohnabzüge auf dem Einkommen zu erhöhen, ist ihre Initiative erst recht ein Etikettenschwindel.
Die Initiative würde 80 Millionen zusätzlich in die Kantons- und die Gemeindekassen spülen. Ist dieses Geld nötig?
Sauter: Nein, nicht einmal Finanzdirektor Ernst Stocker will dieses Geld. Zürich schreibt seit Jahren massive Überschüsse, letztes Jahr waren es 760 Millionen Franken. Durch die neue Mindeststeuer für Unternehmen werden schätzungsweise weitere rund 250 Millionen in den Kanton Zürich fliessen. Es gibt finanziell keine Notwendigkeit für diese Initiative. Sie wird lediglich zu einer weiteren Abwanderung von Unternehmern und Unternehmerinnen aus dem Kanton Zürich führen.
Warum reitet die Zürcher Linke immer so sehr auf den Reichen herum? Fast nirgends in der Schweiz zahlen sie so viel Steuern wie im Kanton Zürich.
Badran: Das hat mit Gerechtigkeit, mit Ausgleich und Balance zu tun. Wer die Finanzierung unserer Schulen, unserer Strassen unseres Gemeinwesens tragen soll. In unserer Gesellschaft wird das Kapital immer mehr entlastet, neben der reduzierten Dividendenbesteuerung haben wir das Holding-Privileg eingeführt, unzählige Senkungen von Verrechnungs- und Stempelsteuer beschlossen. Gleichzeitig wurden Arbeit und Konsum mehr belastet. Die Mehrwertsteuer haben wir in der gleichen Zeit mehrfach erhöht. Ich möchte mal gern eine Steuersenkung für die natürlichen Personen und nicht nur für diejenigen, die sich Millionen an Dividenden auszahlen können.
Sauter: Ja, bieten Sie dazu Hand.
Badran: Das geht leider nicht, weil man immer zuerst das Kapital privilegieren muss und uns deswegen dann die Mittel fehlen. Meine Frage an Frau Sauter ist: Wann ist der Freisinn zum Steigbügelhalter des Geldadels geworden? Die bürgerliche Revolution hat sich nämlich seinerzeit gegen die Privilegien des Adels gerichtet…
Sauter: … Oje oje, jetzt kommt die Klassenkampfrhetorik…
Badran: … es sind doch Sie, die Klassenkampf von oben betreiben, indem Sie seit Jahrzehnten die Kapitaleigentümer begünstigen zulasten aller, die von ihrer Arbeit leben. Wir sind es, die diesen Klassenkampf stoppen wollen. Bürgerlich ist das Gegenteil von Adel, das weiss jede «Glückspost»-Leserin. Der Freisinn macht eine Begünstigungspolitik von jenen, die es am wenigsten nötig haben.
Sauter: Jetzt holen Sie mal wieder etwas Luft. Meine Replik beginnt bei der sogenannten Gerechtigkeit. 1,8 Prozent der Steuerpflichtigen im Kanton Zürich leistet rund ein Drittel des Steueraufkommens im Kanton. Daneben gibt es eine grosse Bevölkerungsgruppe, die gar keine Steuern zahlt. Was genau ist jetzt ungerecht? Die Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich sind in der Schweiz seit Jahren stabil. Es ist niemandem geholfen, Frau Badran, wenn es den Reichen in der Schweiz schlechter geht.
Warum muss man zu dieser Initiative Ja sagen?
Badran: Weil es keinen einzigen plausiblen Grund gibt, zu einer moderaten Erhöhung der Dividendenbesteuerung, Nein zu sagen.
Warum soll man Nein stimmen?
Sauter: Es ist ein Etikettenschwindel. Die Initianten behaupten, man habe die Grossaktionäre im Auge, treffen tun sie aber hauptsächlich Klein- und Mittelunternehmer. Der Kanton Zürich braucht im Übrigen keine zusätzlichen Steuereinnahmen. Mit dieser Initiative werden wir noch weitere Unternehmen in andere Kantone verscheuchen.
(Tagesanzeiger online 24. August 2022)