Bei der Einführung 2008 wurde uns die privilegierte Teilbesteuerung der Dividenden als Entlastungsmassnahme für Klein- und Mittelbetriebe verkauft. Als Berechnungsbeispiel zeigte die amtliche Abstimmungszeitung eine Gewinnausschüttung von 20’000 Franken an Herrn X. Auch jetzt – wie zuletzt bei der Stempelsteuer – schwingt das gegnerische Komitee wieder die KMU-Keule, die bewährte Allzweckwaffe der bürgerlichen Campaigner:innen: «100‘000 Zürcher KMU» – so der Alarm auf Facebook – «wären von der unsinnigen Steuererhöhung betroffen.»
Wie sieht es real damit aus? Es stimmt: Im Kanton Zürich gibt es tatsächlich rund 100’000 KMU. Allerdings firmieren 30’000 davon als Einzelfirmen, sind also von der AL-Initiative von vornherein nicht betroffen. Die Situation der verbleibenden 70’012 GmbH’s und AG’s – in dieser Zahl sind nicht nur KMU, sondern auch alle Grossfirmen enthalten – präsentierte sich 2018 wie folgt:
- 57 Prozent versteuerten überhaupt keinen Gewinn
- 72 Prozent einen Gewinn von weniger als 10’000 Franken.
Da liegt nix drin mit Gewinnausschüttungen und Dividendenzahlungen. Damit reduziert sich die Zahl der potenziell überhaupt betroffenen Firmen auf weniger als 20’000. Soviel zu den nackten Zahlen.
Gegner:innen malen rabenschwarz
Im ihrem Abstimmungsvideo malt Yvonne Bont, frischgebackene Inhaberin einer kleinen Gartenbaufirma, die Zukunft nach Annahme der AL-Initiative in den schwärzesten Farben:
«Auf uns würden ganz sicher schwerere Zeiten zukommen. Im Gartenbau ist es üblich, wenn es irgendwie geht, Mitarbeitende – und damit auch die besonders wichtigen Fachkräfte – über die ruhigen Wintermonate weiter zu beschäftigen, um ihnen Sicherheit zu bieten. Sollte die Initiative angenommen werden, wäre es möglich, dass einige Betriebe dies aus wirtschaftlichen Gründen neu überdenken müssten, ob das so weiterhin möglich wäre.»
Und Rolf Schlagenhauf, Inhaber mehrerer Maler- und Gipserfirmen, doppelt nach:
«Deutlich mehr Steuern, so wie es diese AL-Initiative vorsieht, stellt vieles in Frage. Die Baubranche ist sehr personalintensiv und als fairer Arbeitgeber sind die Gewinnmargen gering. Ich möchte weiterhin in sinnvolle Projekte und in die Ausbildung unserer Mitarbeitenden investieren können anstatt deutlich mehr Steuern zu zahlen.»
Dreiste Schwindeleien…
Die Beschäftigung der Fachkräfte im Gartenbau über die Wintermonate und die Investitionen in die Ausbildung der Mitarbeitenden in Ehren: Aber das hat nix, absolut gar nix mit der AL-Initiative zu tun. Diese betrifft nicht die Besteuerung der Firmengewinne – hier wurde der Gewinnsteuersatz Anfang 2021 von 8 auf 7 Prozent gesenkt – und schmälert damit in keiner Art und Weise die im Betrieb vorhandenen Mittel. Die AL-Initiative zielt einzig auf die Besteuerung der Gewinnausschüttungen an die Inhaber:innen , also der Gelder, die aus der Firma abfliessen, und will diese moderat erhöhen.
… und eine Steuerspar-Holding in Zug
Dass Firmeninhaber:innen ein bestehendes Steuerprivileg mit Zähnen und Klauen verteidigen, kann ich verstehen. Aber hier wird nicht bloss übertrieben, sondern dreist geschwindelt und gelogen und versucht, die Stimmberechtigten in die Irre zu führen. Ihr Motto «Nein zum Steuerschwindel» fällt den Initiativgegner:innen auf die eigenen Füsse zurück. Besonders pikant: Rolf Schlagenhauf, der lautstark gegen die AL-Initiative austeilt, bezieht gar keine direkten Dividenden aus seinen drei Zürcher Baufirmen. Er hat seine Beteiligungen an der Rolf Schlagenhauf AG, der Amrein Malerei AG und der Pfleiderer AG in der RSM Beteiligungen AG in Baar, Kanton Zug, gebündelt. Dank dem sogenannten Beteiligungsabzug fliessen allfällige Dividenden der Zürcher Firmen steuerfrei an die Zuger Gesellschaft. Betroffen ist er höchstens, wenn er Ausschüttungen aus seiner Beteiligungsgesellschaft bezieht.
1% profitiert, 1 Milliarde bleibt steuerfrei
Wer profitiert nun tatsächlich vom Steuerrabatt auf Dividenden? Die Zahlen der Finanzdirektion sprechen eine klare Sprache: 2014 waren es 9140 Personen, das sind etwa 1 Prozent aller Steuerpflichtigen. 87 Prozent der Gewinnausschüttungen entfielen auf Beträge von mindestens 100’000 Franken, die Hälfte auf 261 Superreiche mit Ausschüttungen von 1 Million Franken und mehr. Insgesamt wurden 2014 brutto 1.83 Milliarden Franken Dividenden privilegiert besteuert. Wie neuere Zahlen aus der Stadt Zürich zeigen, wo Daten bis 2019 vorliegen, dürften es aktuell mindestens 2.5 Milliarden sein. Das bedeutet, dass gut eine Milliarde Franken Einkommen steuerfrei bleibt!
Lex Martullo, Matter, Supino & Co
Bei den Profiteur:innen reden wir nicht von Coiffeusen, kleinen Take-Away-Betreibern oder Sanitärinstallateuren. Wir reden vom alten und neuen Zürcher Geldadel, von SVP-Granden wie Magdalena Martullo-Blocher und Walter Frey (Emil Frey AG), von Medienzaren wie Michael Ringier oder den Familien Coninx-Supino (Tagesanzeiger), von Bankern wie Thomas Matter oder Martin Bisang, von Bau- und Immobilienlöwen wie Urs Ledermann oder der Familie Spross.
Auch in der offiziellen Abstimmungszeitung wird nicht verschleiert, wer vom Steuerrabatt profitiert. Um die Auswirkungen der Initiative aufzuzeigen, werden vier Berechnungsbeispiele von Personen mit einem steuerbaren Einkommen von 200’000, 400’000, 600’000 und 2 Millionen Franken aufgeführt: Das sind die obersten 4 Prozent der Einkommenspyramide.
Beinharte Zürcher Lobby
Bei der letzten Unternehmenssteuerreform (STAF) wollte der Bundesrat ursprünglich den Kantonen für Dividenden eine Mindestbesteuerung von 70 Prozent vorschreiben, wie sie unsere Initiative vorsieht, ist aber im Parlament gescheitert. Kein Wunder: Mit FDP-Ständerat Ruedi Noser (Noser Management AG) und den SVP-Nationalrät:innen Magdalena Martullo-Blocher (Ems Chemie AG/Emesta Holding AG) und Thomas Matter (Matter Group AG) – alles direkte Profiteur:innen des Dividendenrabatts – weibelt im Bundeshaus eine beinharte Zürcher Lobby für dieses Steuerprivileg. Ständerat Noser war früher Präsident und ist jetzt Vorstandsmitglied der Vereinigung der Privaten Aktiengesellschaften (VPAG). Nationalrätin Martullo-Blocher sitzt im Vorstand der aus der «Unternehmergruppe NEIN zur Bundeserbschaftssteuer» hervorgegangenen Lobbyorganisation Swiss Family Business, welche die Kampagne gegen die 99-Prozent-Initiative führte und auch unter den Unterstützerorganisationen des «Steuerschwindel Nein»-Komitees figuriert.