Eins vorneweg: Der AHV geht es nicht so miserabel, wie uns gewisse Prognostiker:innen weismachen wollen. Seit bald zwanzig Jahren werden uns Milliardendefizite vorausgesagt, doch sogar das Corona-Jahr 2021 hat sie mit einem Plus abgeschlossen. Eine Revision ist natürlich angebracht und langfristig unumgänglich, doch die AHV ist solide und im Vergleich zu anderen Vorsorgeeinrichtungen wie Pensionskassen oder 3. Säule auch sozial.
Die vorgeschlagene Revision AHV 21 jedoch, die am 25. September zur Abstimmung kommt, geht in eine völlig falsche Richtung. Denn anstatt die prognostizierten Defizite – wie hoch sie auch sein werden – gemeinschaftlich als Gesellschaft zu tragen, sollen einmal mehr vor allem die Frauen die Zeche zahlen. Und um das durchzubringen, scheuen sich die Befürworter:innen nicht zu behaupten, die Revision stelle einen Schritt in Richtung Geschlechtergleichstellung dar. Davon kann keine Rede sein. Frauen erhalten bereits heute rund ein Drittel weniger Rente als Männer. Sie verdienen noch immer weniger und verrichten den Löwenanteil an unbezahlter Care-Arbeit – das Resultat sind Teilzeitpensen, eine nicht vorhandene 2. Säule oder Lücken in ihren Pensionskassen. Und obwohl Frauen viel weniger haben als Männer, sollen sie im nächsten Jahrzehnt fast 70% zur Stabilisierung der AHV beitragen?
Ausserdem ist der Plan, das Rentenalter der Frauen auf 65 und in einem zweiten Schritt das aller arbeitenden Menschen auf 67 anzuheben, oder zumindest jener, die sich keine Frühpensionierung leisten können, völlig realitätsfremd. Die 60-64-Jährigen sind bereits heute die Altersgruppe mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Die Erhöhung des Rentenalters würde dadurch mehr Personen in die Langzeitarbeitslosigkeit und in die Sozialhilfe treiben. Geholfen wäre damit niemandem.
Das zweite Päckchen der AHV-Revision scheint auch nur auf den ersten Blick fair. Die Bürgerlichen argumentieren, über die Erhöhung der Mehrwertsteuer trügen alle Gesellschaftsmitglieder gleichermassen über ihren Konsum zur Finanzierung der AHV bei. Doch die Mehrwertsteuer ist eine der asozialsten Steuern überhaupt. Während Menschen mit grossem Portemonnaie eine Erhöhung kaum spüren werden, bedeutet sie für Menschen mit kleinen Einkommen einen schmerzhaften Einschnitt. Dazu käme die Erhöhung in einer Zeit, in der Realeinkommen und Kaufkraft sinken, während Konsumentenpreise und Inflation steigen.
In einem Land, in dem Unternehmen rekordhohe Profite erzielen und für sie eine Steuererleichterung nach der anderen durchgewinkt wird, ist dies blanker Hohn. Es ist nicht wahr, dass die AHV dem Untergang geweiht ist, wenn die aktuelle Revision nicht durchkommt. Es gäbe durchaus andere fairere und sozialverträglichere Möglichkeiten, die AHV zu stabilisieren: Erbschafts- und Transaktionssteuern wären zwei angebrachte Vorschläge, und die kürzlich lancierte SNB-Initiative, die die Gewinne aus den Negativzinsen in die AHV investieren möchte, würde bereits mindestens für die nächsten 10 Jahre ausreichen. Wir haben genügend Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen.