Wir alle müssen unser Einkommen bis zum letzten Rappen versteuern. Grossaktionär:innen dagegen sind privilegiert: Sie müssen ihre Dividenden nur zur Hälfte versteuern. Mit ihrer Initiative «Keine Steuergeschenke für Grossaktionärinnen und Grossaktionäre» will die AL diese Ungerechtigkeit korrigieren und den Dividendenrabatt reduzieren. Am 25. September stimmen wir ab.
Tiefsteuer-Kantone als Trendsetter
Eingeführt wurde dieses Privileg für Superreiche in Zürich Anfang 2008. Das Szenario erinnert an die Pauschalbesteuerung. Anfänglich kannten sie in der Deutschschweiz nur ein paar kleine Tiefsteuer-Kantone, dann wollten alle mitmachen nach dem Motto «Wenn die andern das anbieten, müssen wir auch».
Trendsetter beim Dividendenrabatt waren ab 2000 Nidwalden, Obwalden und Appenzell-Innerrhoden, gefolgt von Schaffhausen und Luzern. 2002 griffen die heutigen FDP-Bundesparlamentarier Ruedi Noser und Beat Walti das Anliegen im Kantonsrat auf. 2005 doppelte die heutige SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann mit einer parlamentarischen Initiative nach. Statt des geforderten 80%-Steuerrabatts auf Dividenden beschloss der Kantonsrat dann eine Reduktion um 50%. Mit 45.2% Nein-Stimmen hatte das linke Referendum dagegen im November 2007 keine Chance. Mit der im Februar 2008 nur hauchdünn angenommenen USR II wurde der Dividendenrabatt im Steuerharmonisierungsgesetz dann landesweit legitimiert und in allen Kantonen – allerdings mit unterschiedlichen Rabattsätzen – eingeführt.
Neoliberales Relikt der Nullerjahre
Der Dividendenrabatt ist Teil der neoliberalen Steuerreformen der Nullerjahre, mit denen Kapitalbesitzer schrittweise entlastet wurden. Die wichtigsten: Abschaffung der Erbschaftssteuer für direkte Nachfahren (2000; 235 Mio), Abschaffung der Handänderungssteuer (2005; 120 Mio), proportionaler Steuersatz und Halbierung der Kapitalsteuer für Firmen (2005; 130 Mio). Die Beträge in Klammern beziffern die Steuerausfälle pro Jahr beim Kanton, wie sie vom Regierungsrat im Zeitpunkt der Einführung geschätzt wurden; heute dürften sie deutlich höher sein. Übrigens: Bei der Einführung des 50%-Rabatts auf Dividenden rechnete die Regierung 2007 mit Ausfällen von 35 Mio Franken beim Kanton. In der Weisung zur AL-Initiative schätzt er den Mehrertrag bei der Erhöhung des steuerbaren Anteils von 50% auf 70% auf 40 Mio Franken. Andersherum gerechnet: Der volle 50%-Rabatt beschert Kanton und Gemeinden je ein jährliches Minus von 100 Mio Franken – dreimal mehr als 2007 angekündigt!
Finanzkrise bringt Trendwende in der Steuerpolitik
Die Finanzkrise von 2008 führte zur Trendwende. Im Februar 2009 wurde zur Überraschung aller die AL-Initiative zur Abschaffung der Pauschalsteuer für ausländische Millionär:innen angenommen. Damit setzte die AL ein steuerpolitisches Fanal. Seither ist Zürich ein hartes Pflaster für bürgerliche Steuervorlagen. 2011 wurde die Abschwächung der Progression bei der Einkommens- und Vermögenssteuer abgelehnt, die Teilabschaffung der Kapitalsteuer für Firmen scheiterte 2012 an einem AL-Referendum, die Reduktion der Steuersätze bei der Grundstückgewinnsteuer wurde 2013 abgeschmettert, 2017 erlitt die Unternehmenssteuerreform III auch in Zürich grandios Schiffbruch. Gescheitert sind wir dagegen mit den AL-Referenden gegen die Immo-Haie, die Reduktion der Grundbuchgebühren (2016) und die Verlustanrechnung für Firmen bei der Grundstückgewinnsteuer (2018), und bei der Steuervorlage 17 (2019).
Offensivfähigkeit zurückgewinnen
Die Initiative ist äusserst moderat abgefasst. Sie verlangt nicht die vollständige Abschaffung des Steuerrabatts auf Dividenden, sondern bloss eine Erhöhung des steuerbaren Anteils von 50 auf 70 Prozent, wie das seit 2020 auch für die direkte Bundessteuer gilt.
Dahinter steckt eine strategische Überlegung. Die AL-Initiative richtet sich gegen die dominierende Tendenz, die Steuerlast immer stärker auf Konsum, Löhne und Renten zu verlagern und Kapitalbesitz und Kapitaleinkommen sukzessive zu entlasten. Abwehrkämpfe wie gegen die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer sind nötig, reichen aber nicht. Auch plakative Kampagnen für mehr Steuergerechtigkeit wie die 99-Prozent-Initiative genügen nicht. Wir brauchen auch Projekte, die versuchen, in kleinen Schritten Steuerprivilegien aufzuheben oder zu reduzieren. Um damit in der Steuerpolitik wieder Offensivfähigkeit zurückzugewinnen. Wie wir es 2009 mit der Pauschalsteuer-Initiative erfolgreich gemacht haben. Die Lobby der Kapitalbesitzer:innen versucht, ihre Ziele schrittweise zu erreichen, um den Widerstand zu minimieren. Davon können wir lernen.
Niklaus Scherr