Kurz vor seiner Abreise in den Auffahrtsurlaub hat der Stadtrat eine Bombe gezündet. In der Volksabstimmung vom 15. September wird es nicht zu einer Referendumsabstimmung über die vom Gemeinderat beschlossene Tagesschulverordnung kommen. Die Stimmbürger*innen werden entscheiden müssen, ob sie die Tagesschule in Form einer billigen Schmalspurvariante mit Minimalbetreuung am Mittag, früherem Schluss am Nachmittag und höheren Elterntarifen haben wollen, oder auf den Weg zu einer echten Tagesschule mit besseren Arbeitsbedingungen für das Personal und besseren Bildungschancen für alle gehen – und das dafür nötige Geld bereitstellen.
So weit so gut. Faire demokratische Ausmarchungen sind nie schlecht. Weniger gut sind die vom Stadtrat in seinem Beschluss ins Feld geführten Argumente, die ihn veranlasst haben, das Doppelantragsrecht der Exekutive zu nutzen. Der Stadtrat hält am 2012 zwischen SP und FDP ausgehandelten Kompromiss einer Tagesschule light fest und behauptet vollmundig, dass sich das Modell gemäss externer Analyse bewährt habe. Das ist die Lesart des Vorstehers des Schul- und Sportdepartements – widerspricht aber der Evaluation, die zwar auf positive Entwicklungen hinweist, aber gleichzeitig die Scheinwerfer auf die zahlreichen Mängel des überholten Zürcher Modells aus dem Jahr 2012 richtet.
Ganz dick aufgetragen wird bei der Bezeichnung der zur Abstimmung kommenden Verordnungsvarianten. Zur Wahl stünden – so der Stadtrat – die Tagesschulverordnung von Stadtrat und Schulpflege (VTS STR/ZSP), und die Tagesschulverordnung des Gemeinderats (VTS GR). Wer den Stadtratsbeschluss zur Wahrnehmung des Doppelantragsrecht vom 25. Mai 2022 liest, muss davon ausgehen, dass auch die Schulpflege die vom Gemeinderat verabschiedete Verordnung ablehnt. Das ist schlicht falsch.
Die Auseinandersetzungen um die Weiterentwicklung der Tagesschule in der von Filippo Leutenegger als «Primus inter Pares» geleiteten ZSP (Schulpflege) füllen Ordner. Immer wieder hat der Chef versucht, die Kosten der Mittagsbetreuung zu senken. Nie hat er Vorschläge gemacht, wie die Arbeitsbedingungen des Betreuungspersonals verbessert werden können. Immer wieder haben ihm die mit der Praxis vertrauten Schulpräsident*innen Paroli geboten. Dass das Klima in der ZSP angespannt ist, ist Insider*innen bekannt. Der Stadtrat hat dies nie zu Kenntnis nehmen wollen – wohl um Missstimmungen im Gremium zu vermeiden.
Illustres Beispiel für diese Augen-zu-und-durch-Haltung des Stadtrats ist der Prüfauftrag, den er im Herbst 2020 der Schulpflege erteilt hat. Verlangt wurden Massnahmen zur Ergebnisverbesserung. Die Intervention führte zu einer starken Reduktion der Betreuungs-Ressourcen in der Regelschule ab 2022. Was im Dezember 2021 zu bekannten Protesten des Betreuungspersonals führte. Die per 1. Januar 2022 von Stellenkürzungen betroffenen Teams haben kurz darauf vor dem Gemeinderat demonstriert.
Vor diesem Hintergrund kann nicht erstaunen, dass die Meinungen des Betreuungspersonals zur Tagesschule sehr durchzogen sind. Das sind schlechte Voraussetzungen für die nun anstehende flächendeckende Einführung der Tagesschule, die nur gelingen kann, wenn das Betreuungspersonal die Reform aktiv mitgestaltet.
Jetzt muss der Stadtrat die Abstimmungsweisung schreiben. Die AL erwartet, dass er dies mit mehr Fingerspitzengefühl tut, als er bei der Formulierung des Stadtratsbeschlusses gezeigt hat. Wir erwarten zudem, dass sich die Mitglieder des Stadtrats in der Abstimmungskampagne nicht noch stärker exponieren. Erklären muss der Stadtrat nur, warum er ausgerechnet bei der Volksschule so wenig Bereitschaft zeigt, Geld für Qualität auszugeben.