Vor weniger als zwei Monaten, am 19. März 2022, hat der Gemeinderat in diesem Saal die sogenannte «Bührle-Debatte» geführt. Dabei ging es um die Umstände, unter welchen die heute im Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses ausgestellten Kunstwerke in den Besitz von Emil Bührle gekommen sind. Es war die Rede von den zu lange unter Geheimhaltung gestellten Verträge zwischen der Zürcher Kunstgesellschaft und der Bührle-Stiftung. Und es wurde die Notwendigkeit verlangt, Transparenz und Aufklärung zu schaffen über Provenienz der Bilder auf der einen Seite und die Rolle des Waffenproduzenten auf der anderen Seite. Schliesslich ging es darum, Lehren aus einer desaströsen Kommunikation seitens der Kunsthaus- und Kunstgesellschaftsführung zu ziehen, welche für die Stadt Zürich zu einem groben internationalen Reputationsschaden geführt hat.
Die Stadtpräsidentin, die in dieser Debatte als erste das Wort ergriffen hatte, erklärte: «Ich bin weiterhin überzeugt, dass es richtig
ist, die Sammlung Bührle in einem massgeblich öffentlich finanzierten Haus zu zeigen. Das bedeutet auch, als Öffentlichkeit, als heutiges Zürich und als heutige Schweiz Verantwortung zu übernehmen und zu unserer schwer zu ertragenden Vergangenheit zu stehen, uns mit ihr zu konfrontieren und der kritischen Auseinandersetzung Platz und ein Forum zu bieten mit der Absicht, als Gesellschaft aus dieser Auseinandersetzung etwas für die Zukunft zu lernen.» […] «Aus heutiger Sicht lief nicht alles so, wie wir es uns heute wünschen. Wir ziehen aber die Lehren daraus. Mit den Massnahmen, die jetzt bereits beschlossen oder aufgegleist sind, wurde eine wichtige Grundlage dafür geschaffen».
In den letzten Tagen und Wochen sind Informationen über die Nachfolge im Präsidium der Zürcher Kunstgesellschaft bekannt geworden. Sie lassen befürchten, dass das notwendige und seitens der Stadtregierung deklarierte Umdenken doch noch nicht erfolgt ist: Am 14. April ist bekannt geworden, dass Philipp Hildebrand als einziger Kandidat für das Präsidium den 24’000 Mitgliedern der Zürcher Kunstgesellschaft an einer Ende Mai schriftlich stattfindenden Abstimmung zur Wahl empfohlen wird. Sowohl die Personalie des ehemaligen Direktors der Nationalbank, seine Eignung für das Amt wie auch das Auswahl-Prozedere lassen aufhorchen. So ist Philipp Hildebrand Vice Chairman des weltweit grössten Vermögensverwalters BlackRock. Zu den Aktivitäten von BlackRock, welche er in seiner Bewerbung selbst als «nachhaltige Anlagestrategie» bezeichnet, gehören Investitionen in Atomwaffen, deren Beteiligungshöhe in den Jahren 2020 und 2021 in den USA auf Platz 4 rangiert. Auf den während Jahrzehnten mit dem Kunsthaus verbandelten Kunstsammler, der während dem 2. Weltkrieg sein Geld mit Waffenlieferungen an Nazideutschland verdiente, soll jetzt ein Mann als Präsident der Kunstgesellschaft folgen, der aktiv im Nuklearwaffengeschäft mitmischt. Die besondere Eignung des ehemaligen Nationalbankdirektors als Kunstsachverständiger ist gemäss den verfügbaren Medienberichten nicht erwiesen, abgesehen davon, dass er im Board of Trustees des British Museum sitzt. Bekannt ist hingegen seine Ablehnung der Schweizer Sanktionen gegen Russland. Dass sowohl seine Exfrau Kashya eine Kunstgalerie betrieben hat und seine Lebenspartnerin Margarita Louis-Dreyfus über eine Kunstsammlung verfügt, kann ihm nicht als Leistungsausweis angerechnet werden.
Die vergangene Woche ins Spiel gebrachte und wegen verpassten Fristen schon nach wenigen Tagen wieder zurückgezogene Kandidatur von Kunstvermittlerin Cristina Bechtler, der Gattin des ehemaligen Präsidenten der Kunstgesellschaft, Thomas Bechtler, lässt darauf schliessen, dass die Wahl des neuen Präsidenten vom Vorstand der Kunstgesellschaft offenbar als reine Formsache angeschaut wird. Davon zeugt auch die seltsame Form der schriftlichen Abstimmung, welche Philipp Hildebrand bei einer öffentlichen Versammlung unangenehme Fragen erspart. Es ist unverständlich, dass die Vertreter:innen der Stadt, welche im elfköpfigen Vorstand zusammen mit denjenigen des Kantons über eine Mehrheit verfügen, das heutige Wahlprozedere nicht als Gelegenheit verstehen, mit der bisherigen Praxis der Hinterzimmerpolitik aufzuhören. Denn es ist Zeit, eine Persönlichkeit an die Spitze der Kunstgesellschaft zu berufen, welche den Bruch mit der Bührle-Vergangenheit des Kunsthauses tatsächlich verkörpert. Es ist Zeit, eine Person zu finden, die nicht mehr mit der Zürcher Finanzwelt verfilzt ist und die über die notwendige Autorität und Haltung verfügt, das Zürcher Kunsthaus aus der seiner Imagekrise zu führen.
Die AL-Fraktion fordert den Stadtrat auf, seinen ganzen Einfluss geltend zu machen, dass wenn die Wahl wirklich wie geplant durchgeführt wird, dies ein Übergangspräsident wird. Er soll darauf hinwirken, dass bei einer nächsten Ausschreibung die Qualität einer Präsidentin oder eines Präsidenten als Kunstsachverständige im Vordergrund steht.