AL macht Druck – Stocker bestellt Gutachten
2020 hat das Zürcher Verwaltungsgericht in zwei aufsehenerregenden Entscheiden mit unmissverständlicher Klarheit festgehalten, dass die 2009 (!) letztmals festgelegten Vermögenssteuerwerte für Liegenschaften massiv unter den aktuellen Verkehrswerten liegen und damit rechtswidrig sind. Für den Zürcher Regierungsrat offenbar kein Anlass, aktiv zu werden. Erst nachdem ich im Dezember 2020 beim Verwaltungsgericht eine Normenkontrollklage angestrengt hatte und AL-Kantonsrat Kaspar Bütikofer mit einer Anfrage Rechenschaft verlangte, erklärte sich die Regierung im Februar 2021 schliesslich bereit, «eine vertiefte Prüfung der Liegenschaftenwerte durch ein Fachgutachten in Auftrag zu geben» (Antwort auf KR 2020/395).
Inakzeptables Powerplay des Finanzdirektors
Ein Jahr später dürfen wir aus der soeben veröffentlichen Antwort auf die erneute Anfrage von AL-Kantonsrätin Melanie Berner (KR 2022/34) dankbar erfahren, dass das bei Wüest Partner AG bestellte Gutachten im vergangenen Jahr tatsächlich abgeliefert worden ist. Es ist zwar noch unter Verschluss, soll aber in einigen Wochen veröffentlicht werden. Und dank dem Gutachten hat jetzt offenbar auch der Regierungsrat eingesehen, dass «eine Neubewertung der Grundstücke angezeigt» ist. Immerhin…
Dann wird es aber definitiv kompliziert. Die jetzt fälligen Bewertungs- und Anpassungsarbeiten erfordern nämlich «erneut den Beizug von externen Fachspezialistinnen und -spezialisten. Aufgrund des grossen Umfangs dieser Arbeiten ist das Steueramt derzeit damit befasst, eine öffentliche Ausschreibung dieses Auftrags vorzubereiten.» Und da das alles natürlich «anspruchsvoll und aufwendig» ist, müssen wir uns mit dem bitteren Fazit abfinden: «Eine Umsetzung ist frühestens für die Steuerperiode 2024 denkbar.» Man beachte das vorsichtige Adjektiv «denkbar», garantiert wird da gar nix.
Inhouse-Fachwissen verschmäht
Völlig unverständlich ist auch die krasse Missachtung des verwaltungsintern vorhandenen Fachwissens. So hat das kantonale Statistikamt, das seit Jahrzehnten alle Handänderungen statistisch erfasst und auswertet, 2017 ein hedonisches Bodenpreismodell entwickelt, welches das ganze Wohngebiet des Kantons abdeckt und für rund 355’000 Zellenmittelpunkte eines einheitlichen 25×25-Meter-Rasters arealspezifische Angaben liefert (statistik.info 2017/05). Das Modell berücksichtigt praktisch parzellenscharf rund 20 wertrelevante Indikatoren zur Mikro- und Makrolage, also genau das, was es für eine standardisierte Bewertung braucht. Trotzdem hält es die Regierung für «angezeigt, ein externes Unternehmen beizuziehen, das über das notwendige Fachwissen und Datenmaterial verfügt, um die Entwicklung der Immobilienpreise auch in steuerlicher Hinsicht zuverlässig zu beurteilen.»
Roter Teppich für die Immo-Lobby
Das Vorgehen der Finanzdirektion ist trölerisch und skandalös. Die Zürcher Regierung sollte sich ein Beispiel nehmen am Kanton Aargau. Nachdem das Verwaltungsgericht auf Klage des Mieterverbands hin im September 2020 die Widerrechtlichkeit der aktuellen Liegenschafts- und Eigenmietwerte festgestellt hatte, schaffte es der Aargauer Regierungsrat, innert 16 Monaten bis zum Februar 2022 ein komplett neues Schätzmodell vorzulegen.
Nachtigall, ick hör dir trapsen: Vor den Erneuerungswahlen vom Februar 2023 will der SVP-Finanzdirektor es sich mit den Liegenschaftsbesitzer:innen und der Immo-Lobby offenbar nicht verderben. Eine zügige Bearbeitung des Dossiers könnte ja Sympathien kosten.
Niklaus Scherr