Im Zentrum unserer Initiative steht die Forderung nach 100 Prozent gemeinnütziger Wohnungen auf dem Neugasse-Areal, also alle geplanten 375 Wohnungen in Kostenmiete.
Seit 2000 sind auf SBB-Arealen in der Stadt 10 Wohnüberbauungen erstellt worden. In 8 davon werden insgesamt 1’191 Wohnungen zu Mieten im obersten Marktpreissegment angeboten. Das gilt nicht nur für die Europaallee, sondern für alle SBB-Überbauungen. Bei der kleinen Schwester der Europaallee, der Gleistribüne an der Zollstrasse, werden 3.5-Zi-Wg für bis zu 4’500 und 4.5-Zi-Wg. für bis zu 5’300 Franken vermietet.
Es gibt nur zwei Ausreisser: Letzibach D an der Hohlstrasse mit 265 städtischen und das Zollhaus mit 48 genossenschaftlichen Wohnungen. Beidemal hat die SBB AG nur unter massivem politischem Druck Hand zu einem Verkauf geboten: bei Letzibach D als Gegenleistung für ein hochprofitables Näherbaurecht der Stadt für die Überbauung Westlink beim Bahnhof Altstetten, beim Zollhaus wegen einer Gestaltungsplanpflicht und weil sie ihr Grundstück ohne Mitwirkung der Stadt als Nachbareigentümerin nicht selbständig überbauen konnte.
313 zu 1191: Per Saldo machen die gemeinnützigen Wohnungen gerade mal ein Fünftel aller Wohnungen auf SBB-Arealen aus.
Dieses Missverhältnis will unsere Initiative korrigieren. Werden auf dem Neugasse-Areal 375 gemeinnützige Wohnungen gebaut, dann steigt der Anteil von Wohnungen in dauerhafter Kostenmiete auf rund ein Drittel.
Alles in allem: keineswegs eine extreme Forderung. Vor allem, wenn sie sich an einen volkseigenen Betrieb richtet, der die Areale seinerzeit unter Zwang von den Eigentümern für einen öffentlichen Zweck – den Betrieb einer Bahn – bekommen hat.
Bei der Neugasse kommt noch ein spezieller Aspekt hinzu, der unsere Forderung erst recht stützt. Ein Landstreifen von 18’000 m2 entlang der Neugasse – das entspricht rund zwei Dritteln des Areals, das überbaut werden soll – war ursprünglich im Besitz der Stadt. Sie musste ihn 1925 für den Bau des Bahn-Depots zwangsweise an die SBB abtreten. Die SBB zahlte 26 Franken pro Quadratmeter, damals ein marktüblicher Preis. Teuerungsbereinigt wären das heute 160 Franken pro Quadratmeter. Dass die SBB AG jetzt, wo sie das Depot nicht mehr braucht, der Stadt ein Rückkaufsrecht zu fairen Bedingungen anbietet: auch das ist keine extreme Forderung.
Unsere 100-Prozent-Forderung ist mehr als berechtigt.
Ich möchte mich jetzt zu drei Punkten äussern: dem Antrag auf Ungültigerklärung, der Vereinbarung mit der SBB und der Frage des Rückzugs.
Der Antrag auf Ungültigerklärung
Befremdend und rechtlich unhaltbar ist der erneue Antrag des Stadtrats auf Ungültigerklärung. Ich kann mich da ganz den Ausführungen von Luca Maggi anschliessen. Ich möchte ergänzend darauf hinweisen, dass ein Landverkauf der SBB kein Novum wäre, denken Sie nur an die Abtretung der Areale Letzibach D und Zollhaus an die Stadt und die Genossenschaft Kalkbreite. Und es glaubt ja niemand in diesem Saal, dass die SBB ein Ja zur Initiative einfach so wegstecken würde. Vor Verabschiedung der Weisung hat der Stadtrat uns übrigens angeboten, auf den Antrag auf Ungültigerklärung zu verzichten, wenn wir eine Rückzugserklärung abgeben, falls der Gemeinderat die Vereinbarung mit der SBB positiv zur Kenntnis nimmt. Allein das zeigt, dass es sich um einen wacklig begründeten, rein taktisch motivierten Antrag handelt.
Die Vereinbarung mit der SBB
Auf Initiative von Stadtrat Wolff haben von April bis September 2020 mehrere Gespräche zwischen Delegationen von Stadtrat, SBB und Initiativkomitee stattgefunden. Wir haben uns diesen Diskussionen nicht verweigert. Dabei wurden verschiedene Varianten erörtert, so unter anderem:
- mehr gemeinnützige Wohnungen (wie es der Gemeinderat verlangt hat)
- eine zweite Tranche gemeinnütziger Wohnungen mit einem höheren Landpreis
- ein niedrigerer Quadratmeter-Preis bei den preislich gedeckelten Mieten
Dabei zeigten sich deutlich zwei rote Linien:
- Die SBB will auf keinen Fall mehr als ein Drittel gemeinnütziger Wohnungen, hier geht es offenkundig darum, ein gesamtschweizerisches Präjudiz zu verhindern
- die gedeckelte Maximalmiete von 295 Franken pro Quadratmeter ist für die SBB nicht verhandelbar
In der Folge drehten sich die Gespräche vor allem um Präzisierungen und Absicherungen zum zweiten Wohnungsdrittel mit gedeckelten Mieten. Gegenüber dem ursprünglichen Angebot sind etliche Verbesserungen erreicht worden, die mit einem Grundbucheintrag mit einer Laufzeit von 50 Jahren abgesichert werden
- Der Basismietzins bleibt während 50 Jahren bei maximal 295.-/m2
- die Mietpreise werden auf diesem Betrag während der ersten 15 Jahren gedeckelt
- Danach erfolgen nur Kostenmietanpassungen nach Obligationenrecht, keine Anpassung an Marktmieten und keine Nachhol-Anpassung für Kostensteigerungen während der ersten 15 Jahre
- Überwälzung von maximal 50 Prozent bei Sanierungen und Deckelung der Nebenkosten bei 12% der Nettomiete
Mit einer Festmiete während der ersten 15 Jahre und einen Langfristverzicht auf Marktanpassungen liegt insgesamt ein nicht uninteressantes Angebot vor. Allerdings: Mit netto 295 Franken pro Quadratmeter ist und bleibt der Basismietzins sehr hoch. Und wir sind meilenweit von der Grundforderung nach 100 Prozent gemeinnützig entfernt.
In Bezug auf die Vereinbarung sind sich die linksgrünen Fraktionen uneins. Die AL plädiert für blosse Kenntnisnahme, die Grünen sind für Ablehnung und die SP will das Dispositiv mit einem Vorbehalt für einen leicht höheren Anteil an gemeinnützigen Wohnungen ergänzen.
Aus unserer Sicht – auch auf dem Hintergrund unserer Gespräche mit der SBB – widerspiegelt die Vereinbarung, die vorliegt, das aktuelle Kräfteverhältnis und das, was momentan parlamentarisch erreichbar ist, Dass die SP im Hinblick auf die spätere Beratung des Gestaltungsplans einen Vorbehalt anbringen will, können wir nachvollziehen. Allerdings ändert dieser Vorbehalt nichts am vorliegenden Deal und auch nicht an der Haltung der SBB. Inhaltlich geht es um eine Differenz von 27 zusätzlichen gemeinnützigen Wohnungen. Wird der Vorbehalt in dieser Form eingebracht und findet er im Rat eine Mehrheit, führt das in der Schlussabstimmung dazu, dass die ganze Vereinbarung am Nein von Grünen und Bürgerlichen scheitert. Damit würde der Arealentwicklungsprozess abrupt und mit Sicherheit für längere Zeit gestoppt.
Einen solchen Ausgang halten wir nicht für wünschbar. Wir würden es begrüssen, wenn der Rat Hand bietet, dass die Vereinbarung zwischen Stadt und SBB im Rennen bleibt. Als Zwischenergebnis bildet sie eine Art indirekten Gegenvorschlag zur Noigass-Initiative und ist damit auch für die Meinungsbildung Rückzug der Initiative Ja oder Nein von Bedeutung. Wenn die Initiative aufrechterhalten wird und im Volk eine Mehrheit findet, werden die Karten auf jeden Fall nochmals neu gemischt.
Zur Frage des Rückzugs
Gestern hat eine Sitzung des erweiterten Noigass-Vorstands stattgefunden. Wir haben beschlossen, auf den 7. Mai unsere rund 400 Mitglieder zu einer grossen Vollversammlung auf den Röntgenplatz einzuladen. Dort wird der Entscheid fallen, ob wir die Initiative aufrechterhalten oder zurückziehen. Er hängt davon ab, wie die Vereinbarung zwischen Stadtrat und SBB beurteilt wird, aber auch davon, wieviel Power und Lust für einen Abstimmungskampf vorhanden ist.