Wer verblendet ist, merkt es nicht, bis er oder sie Fehltritte begeht und zu taumeln beginnt. So geht es dem Stadtrat bedauerlicherweise am Pfauen.
Am 9. März lehnte der Gemeinderat die Vorlage für den Abriss des Pfauentheatersaals und einen Totalneubau deutlich ab. Ich kann mir vorstellen, dass der Stadtrat sich ungläubig die Augen rieb. Dabei war das Scheitern absehbar.
Beim Schauspielhaus wollten die Verantwortlichen grossmundig ein «Theater, das zur obersten Liga des deutschsprachigen Theaters gehört». Dafür war man bereit, den europaweit einmaligem Theatersaal zu opfern. Das jüdische Emigrantentheater der Weltkriegszeit sollte allenfalls noch auf einer Tafel oder über QR-Code wahrnehmbar sein.
Am 19. März steht das Drama um die Bührle-Sammlung im Kunsthaus zur Debatte. Drei Postulate, eine Motion, eine Interpellation. Das ist reales grosses Zürcher Theater.
Auch bei der Bührle-Sammlung geht es darum, mit dem Kunsthaus die Stadt international zu vermarkten. Der Stadtrat will, wie er zum neuen Vertrag erklärt, auch hier «den Ruf der Kulturstadt Zürich sowie die nationale und internationale Ausstrahlung des Kunsthauses … stärken». Für dieses Ziel war man bereit, über braune Flecken hinwegzusehen und Konzessionen einzugehen, mit denen sich Zürich in Geiselhaft des Waffenhändlers und seiner Stiftung begab.
Die Veröffentlichung der Verträge, die nach langem Verweigern erfolgte, zeigt: Es gab eben doch Bedingungen, die der Stadt unwürdig waren. Zwar war Provenienzforschung durch Dritte theoretisch frei, aber jede Art von Publikation im Rahmen des Kunsthauses nur «mit der von der Stiftung autorisierten Darstellung» möglich. Zensurmässig.
Unter politischem und öffentlichem Druck bewegte sich der Stadtrat stolpernd vorwärts. Unter Druck war er bereit, zur Provenienzforschung seine heutige Position einzunehmen, die der gestrigen widerspricht. Für diese Forschung hat der Gemeinderat eine halbe Million bereitgestellt. Aber noch ist das unabhängige Fachgremium nicht geschaffen, das diese Forschung betreibt. Und die heutige Erklärung der Bereitschaft, im Dokumentationsraum offen alle Fakten zu präsentieren, hat erst sätzchenweise zu Verbesserungen der Texte geführt. Immer noch ist im Titel von einem «Rüstungsindustriellen» die Rede statt von einem Waffenhändler. Immer noch ist er ein «Mäzen», eine honorige Person. Der Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg einem der Freikorps angehörte, die 1919 die Arbeiteraufstände in Berlin niederschlugen und Rosa Luxemburgs Ermordung möglich machten.
Bockig macht der Stadtrat einen oder zwei Schritte vorwärts, wenn der Gemeinderat ihn mit Forderungen bedrängt. Und eilfertig erklärt er nach jedem Schritt, die aktuelle Position sei schon die bisherige gewesen.
Grund der Verblendung ist eine Idee, die sich mehr und mehr tragisch auswirkt: dass Zürich anerkannten Weltrang haben müsse. Diese Idee bewirkt, dass, wann immer in Zürich von Kultur die Rede ist, bei den Verantwortlichen «Stadtmarketing» verstanden wird. Wer aber glaubt, Kultur nur als Vehikel benutzen zu müssen, um im internationalen Städteranking Klassenbeste:r zu werden, beweist, dass wir tatsächlich in einer Provinz leben.
Verzichten wir aufs Weltstadtniveau. Machen wir Zürich wohnlich, auch kulturell. Pflegen wir unsere eigenen Reichtümer. Die wirklichen!