Edi Guggenheim, Alt-Gemeinderat der AL, war Mitinitiant der Motion, die zu dieser Weisung, über die wir jetzt abstimmen, wesentlich beigetragen hat. Ihm, der AL und der SVP ist es zu verdanken, dass für den anstehenden Renovationszyklus des Schauspielhauses überhaupt mehrere Varianten geprüft wurden.
Der Pfauen, der wegen seiner historischen und konstruktionsgeschichtlichen Bedeutung unter Denkmalschutz stand (das Verfahren gegen die Entlassung aus dem Denkmalschutz wurde ja aufgrund dieser Weisung sistiert), kann nun – wie es unter Dispositiv 1 steht –so der Wunsch der AL, so saniert werden, dass er auch in Zukunft als «Lieu de mémoire» besteht. In der schon eineinviertel Jahr lang dauernden Debatte in der Kommission tauchte das Stichwort «Lieu de mémoire» immer wieder auf. Dabei fragt sich nicht zuletzt: An was macht sich ein «Lieu de mémoire» fest? Sind es die Bühnenbretter, die laut Schauspielhausverwaltung schon lange nicht mehr die alten sind? Ist es seine Geschichte? Oder ist es der Theatersaal, der in seiner Ursprünglichkeit noch vorhanden ist? Laut Definition (gemäss dem französischen Historiker Pierre Nora) ist ein sogenannter «Lieu de mémoire» ein bestimmter Ort, an dem sich das kollektive Gedächtnis einer sozialen Gruppe kristallisiert und der als historisch-sozialer Bezugspunkt prägend für die jeweilige Erinnerungskultur ist. Wir von der AL sind der Meinung, dass das Theater am Pfauen in seiner heutigen Form eine solche Funktion übernimmt.
Überall auf der Welt werden Bauwerke, die eine zentrale Rolle in der Geschichte einer Stadt, einer Region, eines Landes gespielt haben, geschützt, um sie für die Zukunft zu bewahren und sie für die Erinnerungskultur zu erhalten. Vor nicht allzu langer Zeit hat die Stadt Zürich das Gebäude eines anderen «Lieu de mémoire» für viel Geld gekauft: das Cabaret Voltaire, mit dessen Kauf und Erhalt die Ursprünge der Dada-Bewegung für die Zukunft sichtbar bleiben sollen.
Dass die Geschichte des Pfauen heute den wenigsten Theaterbesucher:innen präsent ist, liegt nicht am Desinteresse des Publikums, sondern wenn, dann am Versäumnis des Pfauen selbst, insbesondere in den letzten Jahren der Vermittlung dieser Geschichte nicht nachgekommen zu sein. Auch das soll sich mit der nun geplanten Instandsetzung ändern. Es sollen im Theater Informationen zur Geschichte der Institution angebracht und so in Erinnerung gerufen werden. Schliesslich flüchteten in den 1930er- und 1940er-Jahren nicht nur Theatergrössen wie Therese Giehse, Maria Becker, Kurt Horwitz und noch viele mehr vor den Nazis in die Schweiz und fanden am Pfauen Aufnahme. Auch wurde unter der Direktion von Ferdinand Rieser, selbst jüdischer Herkunft, der Pfauen zu einem Pfeiler des schweizerischen Widerstandes und hatte durch die aufgeführten Stücke auch einen Einfluss auf die Bevölkerung und die öffentliche Meinung. Der bedeutende Theater- und Filmregisseur Leopold Lindtberg, der unter anderem das Flüchtlingsdrama «Die letzte Chance» realisierte, schrieb rückblickend, ich zitiere: «dass das Schauspielhaus in jener Zeit zum schweizerischen Kulturinstitut, ein Mitkämpfer bei der geistigen Landesverteidigung, zu einem der wichtigsten Widerstandszentren gegen den Ungeist des Faschismus geworden ist». Ebenso soll an dieser Stelle doch noch erwähnt sein, dass das Schauspielhaus vor dem 2. Weltkrieg international keine Rolle spielte. Das änderte sich erst durch die Ankunft all der aus Deutschland immigrierten bedeutenden Persönlichkeiten des Theaters.
Der Pfauen hat auch in den Nachkriegsjahren immer wieder – auch international – für Aufsehen gesorgt: nicht nur durch grosse Namen von Schauspielern, sondern immer wieder auch mit Theaterstücken oder Regisseur:innen, die Beachtung fanden und das Publikum aus der Komfortzone holten – wie das etwa mit Stücken von Frisch, Dürrenmatt oder Vaclav Havel der Fall war oder in jüngerer Zeit mit den Aufführungen von Christoph Marthaler, der notabene das Theater nicht verlassen hat, weil er die Arbeitsbedingungen für schlecht befand, sondern weil er der Diskussionen um das Budget leid war.
2009 wurde die Direktion des Hauses dann zum ersten Mal in die Hände einer Frau, Barbara Frey, gelegt. Auch sie inszenierte innovatives Theater, das über die Landesgrenzen hinaus für Anerkennung sorgte und gab namhaften Dramaturg:innen wie Dusan David Parizek, Werner Düggelin, Karin Henkel oder dem Rimini Protokoll eine Plattform.
Mehrere Produktionen, die am Schauspielhaus ihr Debüt feierten, haben den renommierten Nestroy-Theaterpreis gewonnen – 2004 etwa «Elementarteilchen» von Johan Simons oder 2006 «Der Gott des Gemetzels» von Yasmina Reza.
Es ist also bei weitem nicht so, dass das Schauspielhaus erst ab jetzt international Beachtung finden würde oder könnte, wie das der Verwaltungsrat zu Unrecht immer wieder sagt und hervorhebt. Die Erfolgsgeschichte des Zürcher Schauspielhauses im deutschsprachigen Raum wurde in den vergangenen Jahrzehnten und bis in die Aktualität weitergeschrieben.
Der Pfauen bietet mit seiner Guckkastenbühne ein einmaliges Theatererlebnis – auch das hat die Umfrage, die das Schauspielhaus bei seinem Publikum durchgeführt hat, klar gezeigt. Insbesondere die jüngere Generation schätzt sowohl den Theatersaal wie auch die Bühne so, wie sie heute sind.
Moderne Theatersäle haben wir in der Stadt verschiedene – aber einen Saal wie den Pfauen gibt es nur einmal. Diesem sollten wir als wichtigem Teil unserer Erinnerungskultur Sorge tragen und eine Renovation so durchführen, dass sie zwar Verbesserungen für das Personal bringt, ohne aber den Ort als «Lieu de mémoire» zu gefährden.