Für vollmundige Ankündigungen vor den Wahlen war sich die SP noch nie zu schade. Vor vier Jahren versprach sie in ihrer Wahlzeitung nicht weniger als «10’000 gemeinnützige Wohnung (sic!) in den nächsten vier Jahren» also 2’500 pro Jahr. Ich schrieb damals einen Wahlblog mit dem Titel «Linke Märlistunde zur Wohnpolitik». Und erlaubte mir – «als kleinkarierter Realo» – die Genoss:innen darauf hinzuweisen, dass nicht einmal Private und Gemeinnützige zusammen eine solche Nettoproduktion pro Jahr erreichen. Die Entwicklung hat mir erwartungsgemäss recht gegeben. Von Ende 2016 bis Ende 2020 nahm die Gesamtzahl der Wohnungen in der Stadt Zürich netto um 8’867 Einheiten zu, bei Genossenschaften und öffentlicher Hand zusammen waren es 2’963 Wohnungen mehr (Zahlen nach GR 2021/332). Versprochenes Ziel um mehr als zwei Drittel verfehlt…
Regierungspartei spielt Opposition
Den Titel von damals kann ich heute 1:1 wieder verwenden. Auch diesmal lässt sich die SP nicht lumpen. «Endlich mehr bezahlbare Wohnungen» kündigt sie auf ihren knallroten Plakaten an. Spüre ich da nicht einen falschen Zungenschlag? «Endlich»: Das klingt, als wolle eine Oppositionspartei die Macht übernehmen, um zu korrigieren, was bisher alles falsch gelaufen ist. Immerhin: Die SP ist stärkste Partei, seit 30 Jahren ununterbrochen an der Macht und stellt seit 12 Jahren den Hochbauvorsteher…
Diesmal soll es beim Wohnen eine Kaufoffensive richten. Mit einer Volksinitiative will die SP in der Gemeindeordnung festschreiben, dass das wohnpolitische Drittelziel – ein Drittel der städtischen Mietwohnungen in gemeinnütziger Hand bis 2050 – «insbesondere durch den Erwerb von Liegenschaften» erreicht werden soll. Dazu soll das Stiftungskapital der städtischen Stiftungen zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen (PWG), Alterswohnungen (SAW) und Wohnungen für kinderreiche Familien (SWkF) um 250 Mio Franken aufgestockt werden. Erklärtes Kaufziel: 500 Wohnungen pro Jahr.
Mehr kaufen: Wer wäre dagegen?
Mehr Wohnliegenschaften kaufen: welcher Linke wäre dagegen? Eine gut gefüllte Kriegskasse für die PWG: finde ich cool. Aber macht es wirklich Sinn, neben der PWG, die seit 30 Jahren hochprofessionell als Käuferin auf dem städtischen Markt auftritt, und der Stadt, die ihre Kaufabteilung derzeit gezielt ausbaut, auch noch die SAW und die SWkF – die heute über keine eigene Kauforganisation verfügen – mit zusätzlichen Geldern für Wohnungskäufe auszurüsten? Die PWG kauft Wohnungen, um Mieter:innen den Verbleib zu sichern. Um ihre Zielgruppe zu versorgen, müssten SAW und SWkF bei Wohnungskäufen dagegen die Bestandesmieter:innen auf die Strasse stellen. Da die beiden Stiftungen überwiegend subventionierte Wohnungen für Menschen mit kleinen Budgets anbieten, wären auf den Kaufpreisen zudem massive Abschreibungen erforderlich, um die vom Kanton maximal erlaubten Anlagekosten einzuhalten. Diese liegen für eine 2-Zimmer-Wohnung aktuell bei 321’000 Franken – bei Kaufpreisen, die locker das Doppelte und mehr ausmachen.
SP will pro Jahr 500 Wohnungen kaufen
Und dann ist da noch diese magische Zahl von 500 Wohnungen, die pro Jahr gekauft werden müssen, um das Drittelziel zu erreichen. Berechnet hat sie SP-Gemeinderat Florian Utz anhand einer Trendprognose für die nächsten 30 Jahre und Stadtratskandidatin Simone Brander trägt sie wie eine Monstranz vor sich her. Auf Instagram erklärt Simone am 14. Januar 2022: «Als Stadträtin will ich mich dafür einsetzen, dass die Stadt jährlich rund 500 Wohnungen auf dem Immobilienmarkt kauft und zu erschwinglichen Preisen vermietet.» Noch vor einem Jahr war sich Florian allerdings nicht sicher, ob es nicht vielleicht sogar mehr sein müssten. Im Tagblatt vom 24. Februar 2021 schrieb er: «Selbstverständlich sind Prognosen immer ungenau und mit Unsicherheiten behaftet. Deshalb lässt sich auch nicht mit Sicherheit sagen, ob die Stadt Zürich nun jährlich 500, 700 oder 900 Wohnungen kaufen muss, um das Drittelsziel doch noch zu erreichen.»
900 bis 1000 Wohnungen auf den Markt
Auf die Gefahr hin, von der vorwärtsstürmenden SP und vom Schlachtross Badran als schäbiger Erbsenzähler abgetan zu werden, habe ich ein paar Recherchen vorgenommen. Laut amtlicher Statistik wurden in der Stadt von 2015 bis 2019 insgesamt 631 Mehrfamilienhäuser freihändig verkauft, das sind im Schnitt 126 pro Jahr. Der Mieterinnen- und Mieterverband Zürich wollte es genauer wissen und hat nach der Veröffentlichung von Florians Artikel im Tagblatt vom kantonalen Statistikamt berechnen lassen, wie viele Wohnungen von diesen Transaktionen betroffen waren. Hier das Ergebnis:
Jahr | Anzahl verkaufte Wohnungen in MFH |
2015 | 957 |
2016 | 787 |
2017 | 825 |
2018 | 1 009 |
2019 | 1 059 |
Durchschnitt 2015 – 2019 | 927 |
Jede zweite Wohnung kaufen?
Bei einem Planziel von 500 soll die Stadt also gut die Hälfte aller Wohnungen kaufen, die pro Jahr auf den Markt kommen – wow! Die durchaus aktive PWG schaffte von 2016 – 2020 im Schnitt 58 Wohnungen pro Jahr. Florians Kraftakt erinnert mich e bitzeli an die Fünf-Jahres-Pläne der KPdSU selig oder an Maos grossen Sprung nach vorn. Als alter (weisser) Mann wäre ich versucht, von jugendlichem Überschwang zu sprechen. Nur eben: Die beiden sind längst über das JUSO-Alter hinaus, Florian ist 41 und Simone 43 Jahre alt…
Kostenmiete: kein Allheilmittel gegen hohe Marktpreise
Simone Brander will Wohnungen zu Marktpreisen kaufen und dann zu «erschwinglichen Preisen» vermieten. Das ist leicht gesagt und bei den aktuellen Tiefstzinsen tendenziell machbar. Beim aktuellen Referenzzinssatz von 1.25% kann man für eine 3-Zimmer-Wohnung 700’000 Franken bezahlen und sie kostendeckend für 1’520 Franken vermieten. Steigt der Hypozins auf 2.5%, erhöht sich die Kostenmiete bereits auf 2’250 Franken (+48%), bei 3.0% macht sie einen Sprung auf 2’540 Franken (+67%). Das sind gut 700 bis 1’000 Franken mehr pro Monat – kein Pappenstiel für viele Mieterinnen und Mieter. Hypozinsen von 2.5% oder 3.0% sind keineswegs exotisch, die hatten wir zuletzt 2012 und 2010. Wird sie auf hohe Kaufpreise aufgepfropft, ist auch die Kostenmiete kein Zauberstab, der automatisch zu tragbaren Mieten führt.
Auch kleine Brötchen schmecken lecker
Und was macht die AL? Mit einer im Januar 2022 eingereichten Initiative fordert sie, zusammen mit vielen betroffenen Rentnerinnen und Rentnern, dass bis 2035 2’000 zusätzliche bezahlbare Alterswohnungen gebaut werden, für die dringender Bedarf besteht. Ambitiös zwar, aber machbar. Nur ein kleiner Puzzlestein. Aber da werden wir hartnäckig dranbleiben. AL-Stadtratskandidat Walter Angst hat dafür ein 5-Punkte-Programm entworfen. Wir halten es mit Max Weber: «Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.» Das hat sich die AL zu Herzen genommen. Sie weiss sich da in guter Gesellschaft, schliesslich war August Bebel ja gelernter Drechsler.
Kleine Brötchen schmecken durchaus lecker, man muss dafür nicht das Maul aufreissen. Auch konkrete Realpolitik hat eben durchaus ihren Charme…