Ob wir ein Bier trinken, ein Paar Schuhe kaufen oder Tramfahren: Jedes Mal hält der Staat die Hand auf und kassiert 7.7% Mehrwertsteuer (MWST). Nicht so jedoch, wenn Aktien oder Obligationen gehandelt oder Immobilien verkauft werden. Die Immobilienbranche und der Finanzplatz sind für ihre Transaktionen von der Mehrwertsteuer befreit. Kein Wunder, verfügen diese beiden Branchen doch über äusserst schlagkräftige und aggressive Lobbys.
Stempelsteuer als Ersatz für die Mehrwertsteuer
Immerhin: Als – zumindest teilweisen – Ausgleich für diese Steuerprivilegien erheben die meisten Kantone bei Liegenschaftsverkäufen eine Handänderungssteuer (unterm Druck der Hauseigentümer:innenlobby hat der Kanton Zürich diese Steuer leider 2005 abgeschafft). Bei Finanztransaktionen werden die eidgenössischen Stempelabgaben fällig. Die Stempelsteuer ist sozusagen die kleine Schwester der Mehrwertsteuer. Sie wird erhoben bei der Ausgabe von Aktien oder GmbH-Stammanteilen (Emissionsabgabe), beim Handel mit Wertpapieren (Umsatzabgabe) und auf Versicherungsprämien (Versicherungsstempel). Gegenüber den 7.7 Prozent bei der Mehrwertsteuer sind die Abgabesätze höchst bescheiden: 1.5 bis 3 Promille bei der Umsatzabgabe, 1 Prozent bei der Emissionsabgabe und 2.5 bis 5 Prozent beim Versicherungsstempel. Die Stempelsteuer gehört zu den ältesten Steuern der Schweiz. Sie wurde im Zuge der französischen Revolution mit der Helvetik 1798 eingeführt und war bis 1917 den Kantonen vorbehalten. 2020 brachten die Stempelabgaben dem Bund 2.4 Milliarden Franken ein.
Finanzplatz will Totalabschaffung der Stempelsteuer
Die Lobbyisten des Finanzplatzes wollen die Stempelabgaben komplett abschaffen. Eine 2009 eingereichte Parlamentarische Initiative (PI) von FDP-Nationalrat Fulvio Pelli verlangt eine schrittweise Abschaffung; vorgesehen sind zwei Etappen im Abstand von fünf Jahren. Eine klassische Salamitaktik also.
Mit der Vorlage, über die wir am 13. Februar abstimmen, soll das erste und zugleich kleinste Salamirädchen abgeschnitten werden, die Emissionsabgabe. Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre brachte sie 249 Mio Franken pro Jahr ein, 2020 waren es 179 Millionen Franken. Erst danach sollen die grösseren Brocken – der Versicherungsstempel (726 Mio) und die Umsatzabgabe (1’519 Mio) – folgen.
Das KMU-Märli
Verkauft wird die Vorlage von den Befürworter:innen – einmal mehr – als Unterstützung für KMU und Startups. Seit uns Bundesrat Merz 2008 die Unternehmenssteuerreform II als KMU-Projekt andrehte, wissen wir, was von solchen Verkaufstricks zu halten ist. Tatsache ist nämlich:
- Auf Emissionen von Aktien oder GmbH-Anteilen unter 1 Million Franken fällt keine Stempelsteuer an; bei Sanierungen beträgt der Freibetrag sogar 10 Millionen Franken;
- 2020 entfielen 51.5% der Emissionsabgaben auf gerade mal 55 Konzerne.
Nur noch Löhne, Renten und Konsum besteuern?
Hinter der Vorlage steht ein klares strategisches Design: Unternehmen, Finanzsektor und Immobilienbranche sollen Schritt um Schritt immer weiter entlastet und der Staat weitgehend über Steuern auf Löhnen, Renten und Konsum finanziert werden. Im Dezember 2021 hat das Parlament bereits die Abschaffung der 35%-Verrechnungssteuer auf inländischen Obligationenanleihen beschlossen, wogegen die Linke das Referendum ergriffen hat und zurzeit Unterschriften sammelt. Eine massive Entlastung der Hauseigentümer:innen auf dem Buckel der Mieterinnen und Mieter droht mit der Abschaffung des Eigenmietwerts, die seit einiger Zeit in den Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben von National- und Ständerat diskutiert werden. Dieser schleichenden Lastenverschiebung müssen wir am 13. Februar entgegentreten. Mit einem klaren NEIN nicht nur zur konkreten Vorlage, sondern auch als Signal gegen weitere Abbaugelüste.