Was hat ein Basis-/Bewegungsaktivist in der Exekutive zu suchen? Was hätte der 25-jährige Wädi damals von deiner Stadtratskandidatur gehalten?
Der 25-Jährige schloss gerade das Studium am Lehrerinnen-Seminar ab und war ein etwas scheuer junger Mann. Ich engagierte mich im Lehrlingstreff, organisierte Mahnwachen vor der St.-Jakob-Kirche gegen die Angriffe der Contra in Nicaragua mit und verfolgte mit grossem Interesse, wie sich der Parti Ouvrier et Populaire und die Linke in den Exekutiven von La-Chaux-de-Fonds, Le Locle, Renens, Lausanne und den Genfer Gemeinden schlug. Im Gegensatz zu Freundinnen aus der autonomen Szene war ich schon damals nicht der Meinung, dass der Einsitz in einer kommunalen Exekutive tabu ist. Trotzdem bin ich überzeugt, dass soziale Veränderung immer aus der Gesellschaft heraus entstehen muss, um in der Gesellschaft Wirkungsmacht zu entfalten. Ohne die Tausenden Aktivistinnen in der Gewerk- schafts-, Klima- und Frauen-Bewegung, Kollektive wie «Bildung für alle» oder das Solinetz, die LGBTIQ+-Netzwerke und die vielen selbstverwalteten Strukturen wäre die Linke für mich nicht denkbar. Was mich an der Exekutive reizt? Die Spielräume, die der Stadtrat hat, um konstruktiv und kreativ auf diese Impulse aus der Gesellschaft zu reagieren.
Welche politischen Entscheide braucht es, um Deine Vorstellung von einem fairen und solidarischen Zürich zu erreichen?
Fair und solidarisch kann eine Kernstadt wie Zürich nur sein, wenn es ein Recht auf Stadt gibt. Die an den Stadtgrenzen zu Adliswil, Schlieren, Oberengstringen, Opfikon und Dübendorf endende Stadt Zürich macht seit Mitte der Nullerjahre einen rasanten soziodemographischen Wandel durch. Sehe ich die lange Liste der Baugesuche für Ersatzneubauten und Totalsanierungen durch, wird mir «trümmlig». Neben grossen Siedlungen von Banken und Versicherungen werden auch immer mehr kleine Mehrfamilienhäuser platt gemacht. Wenn es nicht gelingt, preisgünstigen Wohnraum zu erhalten, können auch unsere Partizipations- und Sozialprogramme immer weniger ausrichten und das solidarische Zürich verkommt zur Farce.
Welche Bereiche des städtischen Lebens werden in Hinblick auf Netto Null 2040 zu wenig adressiert? Wo besteht Handlungsbedarf, um Zürich klimaneutral zu machen?
Der Stadtrat hat keine Antworten auf die Frage, wie Netto Null im Gebäudebereich umgesetzt werden kann, ohne dass private Eigentümerinnen ihre Häuser leerkündigen. Immerhin zeigt er auf, dass bis 2040 die Hälfte aller Gebäude saniert werden und bis zu 40’000 preisgünstige Wohnungen verschwinden. Wie darauf reagiert werden soll, bleibt völlig im Dunkeln. Zu zaghaft ist der Stadtrat auch in seinen Anstrengungen, die CO2-neutrale Versorgung der Gebäude mit Wärme und Kälte nicht nur effizient, sondern auch kostengünstig zu organisieren. Fernwärme ist wegen der hohen Infrastrukturkosten eine teure Form der CO2-neutralen Versorgung. Trotzdem ist der Stadtrat nicht bereit, die drei Fernwärmeabteilungen von ERZ, ewz und Energie-360-Grad zusammenzulegen. Statt «fürschi» zu machen, werden alte FDP-Seilschaften geschützt. Gar keine Antwort hat der Stadtrat auf die Frage, wie sich der Pendlerverkehr stabilisieren lässt, wenn immer mehr hochwertige Arbeitsplätze in der Stadt konzentriert werden.
«Ich bin kein Feminist» hast Du an der Nominations-VV der AL gesagt. Wie müssen wir das verstehen?
Dass ich mir als Mann nicht anmasse, mich als Feminist zu bezeichnen. Aber natürlich sind die Forderungen der feministischen Bewegung Teil meines politischen Selbstverständnisses. Wie man sie im Alltag umsetzen kann, treibt mich um. Grossen Handlungsbedarf sehe ich etwa, wenn der Stadtrat für die Mittagsverpflegung in den Tagesschulen 1000 zerstückelte Mini-Jobs für Betreuungsassistent*-innen schaffen will. Bis jetzt hat sich das Schul- und Sportdepartement keine Gedanken zur Jobperspektive der Frauen gemacht, die diese prekäre Arbeit ausführen sollen. Das ist schlicht ein Skandal.