Dekarbonisierung ist kein Sonntagsspaziergang
An einer möglichst raschen Dekarbonisierung des Gebäudeparks führt kein Weg vorbei. Allerdings ist das Ganze kein Sonntagsspaziergang. Im Kanton wohnen über 70 Prozent der Haushalte zur Miete, in der Stadt Zürich sind es sogar 90 Prozent. Die Entscheide über Heizsysteme und energetische Verbesserungen fällen jedoch die Vermieter:innen. Trotz der schrillen Töne der Gegner:innen lohnt es sich, die Auswirkungen des Energiegesetzes und des parallelen Förderprogramms Energie 2020 – 2023 auf die Miethaushalte genauer unter die Lupe zu nehmen.
Keine Leerkündigungen bei Heizungsersatz
Ein blosser Heizungsersatz – Einbau einer Wärmepumpe oder Anschluss an die Fernwärme oder einen Energieverbund – berechtigt unter keinem Titel zu einer Wohnungskündigung, da kann ich Baudirektor Neukom beipflichten. Korrekt abgerechnet und unter Abzug allfälliger Subventionen dürfte ein Ersatz in der Regel auch kaum zu einer Verteuerung der Brutto-Mietkosten führen. Allerdings müssen Mieterinnen und Mieter genau hinschauen, dass ihnen nicht überhöhte Umstellungskosten überwälzt werden.
Problematische Nebenkostenabrechnungen
Problematisch und undurchsichtig wird es in der Regel, sobald externe Player ins Spiel kommen. Bei Contracting-Lösungen, wo ein Dritter die Heizanlage erstellt, geht oft vergessen, dass die Nettomiete reduziert werden muss, weil die vom Contractor verrechneten Wärmekosten auch die Amortisation der Anlage enthalten, die sonst über die Nettomiete abgegolten wird. Contracting-, Fernwärme- und Energieverbund-Abrechnungen sind für Normalsterbliche oft schwer nachvollziehbar. Wer sich berufshalber schon durch solche Abrechnungen durchbeissen musste – der Verfasser hat da leidvolle Erfahrungen – kann ein Lied davon singen. Kommt hinzu, dass die meisten Verwaltungen auf bereits extern erstellten verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnungen nochmals 4 % Verwaltungskosten draufschlagen.
Stadt Zürich: Hohe Quote von Leerkündigungen bei Sanierungen
Komplizierter wird es, wenn der Heizungsersatz zum Anlass für zusätzliche energetische Massnahmen (Wärmedämmung, neue Fenster etc.) genommen wird. Zwar sind solche Massnahmen ohne Weiteres im bewohnten Zustand möglich. In Hotspots wie der Stadt Zürich schreiten Vermieter:innen – vor allem Institutionelle wie Fonds, Versicherungen, Pensionskassen etc. – jedoch immer häufiger zu Leerkündigungen. Von 2010 – 2013 betraf dies laut städtischem Statistikamt 28%, 2015 – 2019 bereits 35% der Sanierungen. Mit der beschleunigten Dekarbonisierung des Gebäudeparks dürfte der Anteil weiter steigen. Die ökonomische Logik dahinter ist banal: renoviert der Vermieter im bewohnten Zustand, bleibt der Zinsaufschlag mietrechtlich beschränkt, bei einer Neuvermietung kann er den Markt voll ausreizen.
Roter Teppich für Hausbesitzer:innen
In der Energie- und Klimapolitik hatte und hat die Politik stets ein offenes Ohr für die Hausbesitzer:innen. Bei der Energiestrategie 2050 des Bundes bekamen sie den Batzen und das Weggli: energetische Investitionen können sie als wertvermehrend auf die Mieter:innen überwälzen und gleichzeitig bei den Steuern als Unterhaltskosten abziehen – bei grossen Investitionen über bis zu 3 Jahre. Bei Ersatzneubauten dürfen sie gar die gesamten Abbruchkosten abziehen – was der heutige Berner Stapi Alec von Graffenried als Sprecher der Grünen geradezu als direttissima zur 2000-Wattgesellschaft anpries… In der Welt dieser Öko-Technokraten scheint es nur Gebäude zu geben und keine Menschen, die sie bewohnen. CVP-Mann Müller-Altermatt verspottete den Antrag Badran, Globalbeiträge an Energie-Subventionen nur Kantonen zu gewähren, die Massnahmen gegen missbräuchliche Mieterhöhungen ergreifen: beide Dinge hätten «so viel miteinander zu tun wie Gustav mit Gasthof». Bundesrätin Leuthard beschwichtigte, bei Leerkündigungen handle es sich bloss um «Einzelfälle in städtischen Gebieten».
Mieterinnen und Mieter gehen vergessen
Während die Immo-Lobbyist:innen – trotz ihrer Grundsatz-Opposition gegen griffige Energiegesetze – sich jeweils vorsorglich Steuerabzüge und Subventionen sichern, sind die Mieterinnen und Mieter bis heute die Stiefkinder der Klimapolitik. Was bei der Umsetzung von Klimamassnahmen in der Konfliktzone zwischen Vermieter:innen und Mieter:innen passiert, wird kaum thematisiert. Angesichts der hohen Zahl von Haus- und Wohnungseigentümer:innen in den Parlamenten – auch unter Linken und Grünen – fehlt es am Sensorium für diese Konflikte. Und allzu viele Linksgrüne sind leider bereit, im Kampf gegen den Klimawandel auch linke Grundsätze wie Verteilgerechtigkeit und soziale Verträglichkeit zu opfern.
Hier besteht eindeutig politischer Handlungsbedarf. Leider glänzt der grüne Baudirektor Neukom hier nicht gerade durch Aktivismus. Forderungen des Zürcher Mieterinnen- und Mieterverbands hat er kurzerhand als unerfüllbar vom Tisch gewischt. SP-Nationalrätin Badran spricht zu Recht von einer «verpassten Chance». Anders der Zürcher Stadtrat: Er will in den beiden kommunalen Förderprogrammen zur Aufstockung der kantonalen Beiträge flankierende Massnahmen gegen Leerkündigungen und übersetzte Mieterhöhungen einbauen.
Förderprogramme: Flankierende Massnahmen notwendig
Den wichtigsten Hebel bilden die Förderprogramme. Stimmt das Volk dem Energiegesetz und der Gemeinderat dem kommunalen Förderprogramm zu, prasselt 2022 und 2023 ein wahrer Subventionsregen – 130 Mio CHF vom Kanton und 18 Mio CHF von der Stadt – auf die Hausbesitzer:innen nieder. Seit 2017 liegen Organisation und Umsetzung der Gebäudeprogramme vollumfänglich bei den Kantonen. Knapp zwei Drittel der Fördermittel bringen Kanton und Stadt auf, der Bund steuert lediglich als Mitfinanzierer im Hintergrund einen Drittel als Globalbeitrag aus dem Ertrag der CO2-Abgabe bei. Kommt hinzu, dass das Gros der CO2-Erträge von den Miethaushalten generiert wird, mindestens 70 Prozent im Kanton und 90 Prozent in der Stadt Zürich. Wer Subventionen gewährt, kann Bedingungen stellen und Auflagen formulieren. Das war in der Landwirtschaft schon immer so und sollte auch bei den Energieprogrammen der Fall sein. Das sollten gerade die Grünen nicht vergessen, die sich eben erst bei der Trinkwasser-Initiative für harte Subventions-Auflagen stark gemacht haben. Denkbar sind unter anderem folgende Massnahmen:
- Keine Förderbeiträge an Ersatzneubauten mehr. Das will Neukom jetzt offenbar prüfen.
- Förderbeiträge nur gegen Zusicherung der Empfänger:innen, auf Leerkündigungen zu verzichten. Das will der Zürcher Stadtrat.
- Beim Heizungsersatz werden mit einem Rechentool der Baudirektion die Lebenszykluskosten des neuen Heizsystems ermittelt (§ 11 Abs. 3 EnerG). Förderbeiträge sind an die Auflage zu knüpfen, dass Mieterhöhungen auf dieser Basis berechnet werden.
- Laut Mietrechtsverordnung müssen Vermieter:innen auf dem Mieterhöhungsformular ankreuzen, ob sie Subventionen erhalten haben. Warum gehen Kanton und Stadt nicht weiter und informieren die betroffenen Mieter:innen automatisch über die Höhe der Subvention?
Mehr Transparenz bei Fernwärme- und Contracting-Lösungen
Genauer hinschauen muss die Politik auch bei der Fernwärme und Contracting-Lösungen, die meist von Gemeindewerken angeboten werden. Bis 2040 sollen in der Stadt Zürich Fernwärme-Anschlüsse für 60 Prozent aller Wohnungen verfügbar sein. Fernwärmetarife und Anschlusskosten müssen transparent ausgewiesen und die Tarife – wie heute schon alle Werkgebühren – vom Gemeinderat erlassen werden. Die AL wird – wie schon erfolgreich bei den Abfall- und Abwassertarifen – dafür kämpfen, dass nur die tatsächlichen Kosten verrechnet und nicht überhöhte Reserven angehäuft werden. Das gilt auch für die Contracting-Angebote von ewz und Energie 360o AG, die nicht als Profit-Center betrieben werden dürfen.
Für griffigen Wohnschutz
Darüber hinaus muss die Linke generell für eine griffige kantonale und kommunale Wohnschutzgesetzgebung kämpfen, wie sie heute die Kantone Genf, Waadt und Baselstadt kennen, bis hin zu zeitlich befristeten Mietzinskontrollen im Anschluss an umfassende Sanierungen. Am 26. November diskutiert der Stadtzürcher Mieterinnen- und Mieterverband an einer Tagung mögliche Lösungsansätze.
Die Achillesferse der Klimapolitik ist die soziale Verträglichkeit. Flankierende Massnahmen und ein griffiger Wohnschutz müssen gegen den erbitterten Widerstand von HEV und SVP durchgesetzt werden. Ein Nein zum Energiegesetz wäre ein Schuss ins eigene Bein und würde nur die Totengräber des Mieterschutzes stärken.
(Bild: Julian Hochgesang, Unsplash)