Ende November stimmen wir über das Zürcher Energiegesetz (EnerG) ab. Referendumsmacher sind dieselben wie beim CO2-Gesetz, lauteste Stimme im Nein-Chor erneut die SVP. Am 21. Oktober trat das Nein-Komitee vor die Medien, unter anderen mit Albert Leiser, Direktor Hauseigentümerverband (HEV), Werner Zbinden, Präsident Kaminfegermeister-Verband, und SVP-Kantonsrat Ueli Bamert, Geschäftsführer Swissoil und Leiter Politik von avenergy, wie sich die Erdölvereinigung neuerdings nennt, um ihr fossiles Geschmäckle loszuwerden. Lobbyisten, soweit das Auge reicht.
Erdöl-Lobbyist als Klimaschützer
Hinter dem Mannen-Quintett Plakate mit reisserischen Slogans wie «Mieten noch mehr verteuern?» und «Achtung: Zwangskündigungen!». O-Ton Bamert: «Hauseigentümer sind grösste Klimaschützer». Eine mehr als groteske Maskerade: der Erdöl-Lobbyist als Klimaschützer und der Sprecher der Immo-Haie als Mieterschützer, der Krokodilstränen für die armen Mieter:innen vergiesst. Die Täter inszenieren sich als Opfer, die von bösen Behörden gezwungen werden, gegen ihren Willen die Mieten massiv zu erhöhen und die Mieter:innen auf die Strasse zu stellen. Ausgerechnet HEV und SVP, die in Bern keine Gelegenheit auslassen, den eh schon schwachen Mieterschutz sturmreif zu schiessen!
«Non olet»-Konzept von Alexander Segert
An der Medienkonferenz kämpfte das Nein-Komitee wenigstens mit halbwegs offenem Visier. Man konnte das Erdöl förmlich riechen. Dem gewieften Campaigner im Hintergrund – mit SVP-Werber Alexander Segert von der Agentur GOAL ist es derselbe wie beim CO2-Gesetz – ist natürlich klar, dass man in Zeiten des Klimawandels keine Abstimmung gewinnen kann, wenn die fossilen Geldgeber allzu sichtbar im Vordergrund erscheinen. Voller Siegerstolz resümiert Segert auf seiner Firmenwebseite in der Rubrik «Portfolio» das Erfolgsrezept seiner CO2-Kampagne:
«Ausgangslage
Der Klima- und Umweltschutz-Hype beflügelt die CO2-Vorlage und sagt ihr gemäss ersten Umfragen mit rund 60% eine satte Ja-Mehrheit voraus. Die Nein-Kampagne wird vor allem von den Mineralöl- und den meisten Automobilverbänden getragen. Diese sind gut als «Öl- und Auto-Lobbyisten» angreifbar.
Strategie
Reduktion der Kampagne auf die Kostenfrage. Personalisierung der Kostenauswirkungen durch Testimonials von Menschen aus dem alltäglichen Leben, um zu zeigen, wie die Vorlagen den «normalen» Schweizer finanziell treffen. Mit der Personalisierung durch einfache Menschen wird die Kampagne weg von den angreifbaren Verbänden geführt und authentisch, menschlich und unangreifbar gemacht.»
Alain Schwald: ein Fake-Mieter…
Sozusagen ein «non olet»-Konzept. So einen «einfachen Menschen» hat Segert auch für seinen Stadtzürcher Energiegesetz-Flyer aufgestöbert. Er heisst Alain Schwald, ist «Mieter in Zürich» und fürchtet, dass wegen «teurer Heizungen» günstiger Wohnraum verloren geht. Nun ja, Alain ist für Politinteressierte kein unbeschriebenes Blatt: Vorstandsmitglied Jungfreisinnige Kanton Zürich, Aktuar FDP Bezirk Affoltern, «No Billag»-Mitinitiant, Schreiber in der ultralibertären Postille «schweizer monat». Schwald politisiert klar am rechten Rand seiner Partei und wirft Jacqueline Badran auf Twitter auch gerne mal «Bullshit-Bingo» an den Kopf.
…100% ölimprägniert
Und beruflich? Beruflich ist Alain Projektleiter und Assistent des Geschäftsführers der AVIA, der Vereinigung der unabhängigen Schweizer Erdölimporteure. Und wohnen tut er, laut aktuellem Telsearch-Eintrag, auch nicht in Zürich, sondern im Elternhaus in Wettswil, mit stattlichen 1518 m2 Umschwung und einem 63 m2-Pool «(Korrektur: Wie Alain Schwald mitteilt, wohnt er in Zürich-Wipkingen, vgl. Richtigstellung und Kommentar am Schluss des Artikels)». Der Herr Papa, Wirtschaftsanwalt Hans-Peter Schwald, ist seit Langem Präsident der AVIA, wo Sohn Alain seine Brötchen verdient. Schwald senior – der 2020 seinen Wohnsitz ins steuergünstige Zug verlegt hat – sitzt als Vertrauensmann von Peter Spuhler in den Verwaltungsräten von Stadler Rail (Vize), Rieter und Autoneum (Präsident) und ist im April 2019 beim Börsengang von Stadler Rail AG auf einen Schlag 50 Mio Franken reicher geworden.
Ach, lieber Alexander, mit den «einfachen Menschen» ist das so eine Sache. Was für ein Missgriff für einen Werbeprofi – so wirst Du den lästigen Öl-Geruch definitiv nicht los!
«Mieter-Komitees» Marke GOAL
Der HEV als zweiter Kopf der Nein-Kampagne hat mit Fake-Mietergeschichten bereits eine reiche Erfahrung. Schon bei der Abstimmung über das Energiegesetz 1995 behauptete das vom HEV gesteuerte Nein-Komitee tatsachenwidrig «Mieter und Vermieter einig!», was ihm vom Mieterinnen- und Mieterverband (MV) eine Abmahnung und eine Richtigstellung in den Medien eintrug. Bei der Abstimmung über die Wohnschutz-Initiative des MV kam es zum Eklat, weil das gegnerische Komitee in Inseraten dreist das – damals nicht markenrechtlich geschützte – MV-Logo verwendete. Für die Abstimmung über seine Initiative zur Abschaffung der Handänderungssteuer kreierte der HEV 2003 – schon damals mit Hilfe von Segert – ein Komitee «Für günstige Mieten», das den Mieterinnen und Mietern mit dem Slogan «Mietzinsverteuerung stoppen» eine Senkung der Mieten versprach. Der MV Zürich liess diesen Rosstäuscher-Trick nicht auf sich sitzen und reichte – leider erfolglos – Klage wegen Verletzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ein.
Zollikerstrasse 19 – 23: Es war alles ganz anders
Wenn der HEV jetzt unter der Tarnkappe «Mieterinnen- und Mieterkomitee gegen ein kontraproduktives Energiegesetz» (www.mieten-verteuern-nein.ch) operiert, hat das also Tradition. Etwas schmunzeln musste ich über den Plakatslogan «Mieten noch mehr verteuern?». Damit geben die Urheber:innen immerhin zu, dass die Mieten schon heute, ohne jedes Energiegesetz, teurer werden. Genauer: von den Vermieter:innen verteuert werden! Dies gilt auch für die Sanierungskündigung mit massiv teurer Neuvermietung an der Zollikerstrasse 19-23 im Seefeld, die das HEV-Komitee in seinem Flyer als Paradebeispiel aufführt. Die Häuser gehören der Pensionskasse der ZKB und um die Leerkündigung und die mehr als doppelt so hohen Neumieten (bis über 4000 Franken) entbrannte 2018 – 2020 ein heftiger Mieter:innenkampf. Nur eben: um energetische Sanierung ging es hier nur ganz am Rande. Laut Baubeschrieb wurden bloss Dach und Kellerdecke wärmegedämmt, nix Fassade, und die bestehende Gasheizung wurde – dreimal darf die Leser:in raten – wieder durch eine Gasheizung ersetzt. Insgesamt ein – leider ganz normales – Beispiel für den Mieten-Irrsinn im Seefeld-Quartier. Immerhin: Dank engagiertem Einsatz des MV konnten für mehrere kampfbereite Neumieter:innen die exorbitant erhöhten Anfangsmieten um 15 Prozent reduziert werden.
Auch hier, lieber Alexander, ein völlig untaugliches Beweisstück!
(Fortsetzung folgt)
Eine Richtigstellung und ein Kommentar
Per Mail hat Alain Schwald die AL gebeten, den «Fakenews-Artikel» – gemeint ist der von mir verfasste «Energie-Blog Nr.1: HEV – Brandstifter als Feuerwehr» – vom Netz zu nehmen. Die Aussagen über seine Person seien «nachweislich falsch». Gegenüber P.S., wo der Blog ebenfalls publiziert wurde, hat er lediglich eine Richtigstellung verlangt. Er wohne tatsächlich seit 2019 in Zürich an der Lettenstrasse in Wipkingen und nicht, wie behauptet, in Wettswil im Elternhaus. Die Passage im Blog basierte auf einem Tel-Search-Eintrag vom 25. Oktober 2021, der den Wohnort von Alain Schwald mit Wettswil am Albis angibt (der Eintrag figuriert übrigens auch am 3. November 2021 noch immer unverändert im Netz). Der Verfasser nimmt zur Kenntnis, dass dieser Eintrag nicht mehr aktuell ist, und nimmt die falsche Wohnort-Angabe im Blog zurück.
Aus Datenschutzgründen verzichten wir auf die Publikation der genauen Hausnummer an der Lettenstrasse, wo Herr Schwald wohnt. Immerhin können wir der geneigten Leser*in verraten, dass die Liegenschaft der Baugenossenschaft Letten (BGL) gehört. Damit jetzt nur kein falscher Verdacht aufkommt: Alain Schwald ist nicht etwa klammheimlich zu den Rotgrünen übergelaufen, die – glaubt man der städtischen FDP – das Zürcher Genossenschaftswesen kontrollieren und sich gegenseitig die begehrten Wohnungen zuschanzen. Nein, nein: An der BGL war in den letzten Jahrzehnten gar nix Rotes, auf dem Präsidentenstuhl sass von 1998 bis 2019 ein langjähriger Waisenrat der FDP, der sich nach seinem Rücktritt aus der Vormundschaftsbehörde 2018 auf die Gemeinderatsliste der SVP setzen liess.
E bitzeli speziell ist es schon, dass ein studierter Ökonom, der schliesslich rechnen kann, vom steuergünstigen Wettswil, einer FDP-Hochburg mit Steuerfuss 85 Prozent, in die rotgrüne Steuerhölle Zürich mit Steuerfuss 119 Prozent wechselt. So grottenschlecht, wie seine Parteifreunde behaupten, kann es also um die hiesige Lebensqualität nicht bestellt sein. Aber vielleicht steckt ja eine strategische Absicht dahinter und Alain ist nur nach Zürich gezogen, um der schwächelnden @mehblau-FDP wieder auf die Beine zu helfen…
Noch spezieller ist allerdings, dass Alain Schwald sein Domizil bei einer Baugenossenschaft aufgeschlagen hat. Genossenschaften haben zwei Eigenheiten, die einem Jungfreisinnigen, zumal einem auf dem rechtslibertären Flügel, eigentlich ein Gräuel sein müssten: sie praktizieren eine rigide Kostenmiete, die sich jeglicher Marktanpassungen verweigert, und einen integralen Kündigungsschutz, der die Mobilität auf dem Wohnungsmarkt einschränkt und aus liberaler Optik zu Fehlallokationen führt. Es sind genau diese beiden Eigenschaften, die wir bei energetischen Sanierungen heute so dringend benötigen: Verzicht auf Leerkündigungen und auf übersetzte Mieterhöhungen. Die Genossenschaften leisten hier einen beispielhaften Beitrag. Alain Schwald sollte sich glücklich schätzen, dass er von diesen beiden Errungenschaften profitieren kann. Wie wär’s, wenn er dafür etwas Werbung machen würde statt im Auftrag der Immo-Haie Ängste zu schüren?