(Bild: Juli und Lucia)
Habt Ihr Euch schon vor dieser Abstimmung politisch engagiert?
Julia: Wir nehmen oft an Demos teil und engagieren uns in der Community, wir sind Teil des Programmationsteams des queeren Zürcher Filmfestivals Pink Apple. Über diese Verbindung ist das nationale Komitee auch mit uns in Kontakt getreten. Es ist für uns beide aber das erste Mal, dass wir uns in einem Komitee engagieren. Die Mitarbeit im Komitee macht uns Mut und stimmt uns optimistisch. Vor allem seit wir vom Referendum erfahren mussten, ist es bestärkend, mit gleichgesinnten Menschen gemeinsam aktiv zu werden und auf ein kollektives Ziel hinzuarbeiten.
Du hast das Referendum erwähnt: wie habt Ihr Euch gefühlt, als Ihr vom Referendum erfahren habt?
Lucia: Der Fakt, dass wildfremde Menschen keine Zeit und Mühen scheuen, Unterschriften zu sammeln und sich in mein Leben einzumischen, war eine schmerzhafte Erfahrung für mich. Ebenso befremdlich ist die Vorstellung, dass alle Schweizer Stimmberechtigten darüber abstimmen, ob ich heiraten darf. Das betrifft niemanden, ausser mich selbst. Mir käme es auch nicht in den Sinn, darüber abzustimmen, ob Peter und Vreni heiraten dürfen. Mag ja sein, dass mir ihre Lebensweise nicht entspricht, aber deswegen habe ich noch lange nicht das Recht, mich in ihr Leben einzumischen. Und das ist doch genau der Punkt: uns stehen die gleichen Rechte zu, wie allen anderen. Wir zahlen unsere Steuern, wir engagieren uns für die Gesellschaft. Wieso werden uns unsere Grundrechte vorenthalten?
Geht es Euch in dieser Abstimmung um die Institution der Ehe oder geht es vielmehr um Grundrechte?
Julia: Beides. Wir haben uns auch schon gefragt, ob unser Ehewunsch gerade wegen des Verbots so stark ist. Trotzdem sind wir überzeugt, dass die Antwort auf die Ehefrage nur eine freie persönliche Entscheidung sein darf. Darüber soll kein Gesetz bestimmen dürfen.
Was haltet Ihr vom gegnerischen Argument, eine eingetragene Partnerschaft erfülle den gleichen Zweck wie eine Ehe?
Lucia: Viele Gegner*innen sind der Ansicht, dass die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist. Dem ist aber nicht so. Einerseits bestehen Unterschiede auf rechtlicher Ebene. Andererseits birgt die unterschiedliche Begrifflichkeit grosses Diskriminierungs-
potential. So müsste ich mich beispielsweise bei jeder Zivilstandnennung outen. Obwohl ich selbstverständlich zu meiner Sexualität stehe, finde ich dieses Zwangsouting ungerecht.
Wie ändert sich Euer Leben mit Annahme der Gesetzesänderung?
Lucia: Wir wollen heiraten. Die Ehe hat für mich einen symbolischen Wert; wir bezeugen sowohl vor unseren Freund*innen und Familien als auch vor dem Gesetz, dass wir uns lieben und zusammengehören. Ausserdem wären wir beispielsweise im Krankheitsfall rechtlich viel besser abgesichert. Julia ist meine Familie und das möchte ich rechtlich abgesichert wissen.
Hegt Ihr einen Kinderwunsch?
Julia: Nein, momentan nicht. Aber es ist wichtig, Paaren mit Kinderwunsch die Möglichkeit auf Adoption oder Samenspende zu bieten – und zwar legal und sicher. Momentan erfüllen sich viele Paare ihren Kinderwunsch im Ausland, was stets mit einer rechtlichen Unsicherheit für das Kind einhergeht.
Lucia: Viele Gegner*innen argumentieren, die Erziehung durch gleichgeschlechtliche Paare gefährde das Kindeswohl, weshalb die Samenspende und die Adoption für homosexuelle Paare weiterhin verboten gehöre. Das ist natürlich paradox, denn faktisch existieren diese Kinder bereits. Nur kann es sein, dass es Jahre dauert, bis ein Elternteil rechtlich anerkannt wird. Aus Erfahrungen von Freund*innen wissen wir, dass eben genau diese rechtliche Unsicherheit das Kindeswohl gefährdet. Ein gegnerisches Argument, das wir leider immer noch regelmässig hören, ist jenes der natürlichen Zeugung. In der Natur sei es für gleichgeschlechtliche Paare nicht vorgesehen, Kinder zu bekommen. Wer sich nun bewusst macht, dass Adoption und Samenspende vor allem bei heterosexuellen Paaren zum Einsatz kommen, erkennt, wie heuchlerisch dieses Argument ist.
Interpretiert Ihr ein Ja als Zeichen für einen gesellschaftlichen Wandel?
Lucia: Wir dürfen wohl nicht davon ausgehen, dass ab dem 27. September 2021 Gleichberechtigung herrscht, der Weg ist noch weit und Vorurteile wird es immer geben. Trotzdem ist es für die Schweiz wichtig, hier ein klares Zeichen zu setzen. Wir wollen ein Land sein, in dem alle dazugehören.
Julia: Es ist fast peinlich, dass die Schweiz mitten in Europa liegt und so hinterherhinkt. Die Niederlande kennt die Ehe für alle bereits seit 20 Jahren. Nun ist sie sogar in Taiwan und im erzkatholischen Irland legal.
Lucia: Obwohl ich unsere direkte Demokratie extrem schätze, bin ich der Meinung, dass es Dinge gibt, über die wir nicht abstimmen dürfen. Und dazu gehören unsere Grundrechte. Vor dem Gesetz sind wir alle gleich, so steht es in unserer Verfassung. Und daran sollte nicht gerüttelt werden.