Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie sind 70, wohnen seit 20 Jahren in einer 2,5-Zimmer-Altbauwohnung, die letztmals 1980 saniert wurde. Ihr Budget erlaubt maximal 1600 Franken für die Miete – das ist knapp für die Wohnungssuche auf dem privaten Markt. Ihre Wohnung gehört der Swiss Life. Sie wissen, was das heisst. Deshalb haben Sie sich vor zehn Jahren bei der Stiftung Alterswohnungen (SAW) registrieren lassen. Vor zwei Jahren hinterlegten Sie ihre Anmeldung für zwei Siedlungen. Es gehe wohl noch einige Jahre, bis man Ihnen ein Angebot machen könne, sagt die städtische Beratungsstelle «Wohnen im Alter».
Und dann erhalten Sie am 5. Mai 2021 diesen Brief von Stadtrat Andreas Hauri: Die SAW-Siedlungen würden ihre Angemeldetenliste schliessen. Bereits ab Oktober 2021 würden freie Wohnungen im Tagblatt publiziert. Dort müssten Sie sich dann «auf jede frei werdende Wohnung bewerben, jedes Mal, immer wieder».
4000 solcher Briefe hat Andreas Hauri verschicken lassen. Der Sturm der Entrüstung war ihm gewiss. Doch die Briefe mussten raus. Der Stiftungsrat hatte die Umstellung der Vermietung bereits im September 2020 beschlossen. Sieben Monate lang blieb das geheim – bis Hauris Altersstrategie am 3. März 2021 vom Gemeinderat verabschiedet wurde. Wohnen ist der materielle Kern der Altersstrategie. Trotzdem war der Beschluss der SAW bei den Beratungen kein Thema.
Nicht bekannt war dem Gemeinderat, dass es für die 4000 auf eine SAW-Wohnung wartenden Haushalte nur noch 130 Wohnungen gibt, die pro Jahr vermietet werden. Die restlichen 50 Wohnungen gehen an Haushalte, die die Kündigung bereits erhalten haben. Das dramatische Missverhältnis wird sich in den nächsten Jahren verschärfen, denn die SAW will bis 2028 600 Wohnungen sanieren. Das sind 30 Prozent des Bestandes, die bis zur Sanierung nur noch befristet vermietet werden sollen – paradoxerweise an junge StudentInnen.
Die Vermietungspraxis der SAW ist an sich nicht das Problem. Hoch problematisch ist hingegen das karge Angebot – und offensichtlich die fehlende Wohnbaustrategie für das Alter. In der Wohndelegation haben vier von neun StadträtInnen Einsitz. Andreas Hauri gehört nicht dazu. Laut Planungs- und Baugesetz gilt der Bau von Alterswohnungen klar als öffentliche Aufgabe. Ein Konzept für die Erweiterung des Angebots haben aber weder die Stadt Zürich, noch die SAW.
Einzelne Genossenschaften arbeiten bereits an einer Ü50-Strategie. In deren Fokus stehen aber nicht SeniorInnen, die wegen der Sanierungs- und Renditeoffensive der privaten Bauherren ihre Wohnung verlieren. «Ü50» ist auf GenossenschafterInnen ausgerichtet, die nach der Familienphase in eine kleinere Wohnung umziehen sollen.
Was ist zu tun, um die Not zu lindern? Ein neues Vermietungssystem kann die SAW dann einführen, wenn sie deutlich mehr Wohnungen anbieten kann. Bis dahin sind Wartelisten die fairere Lösung.
Um die grösste Not zu lindern, muss der Stadtrat das über die SAW-Strukturen vermittelte Angebot an zahlbaren Wohnungen mit Bleibesicherheit sofort und deutlich erhöhen. Dafür braucht es einen «Wohngipfel für das Alter», an dem alle kommunalen und gemeinnützigen Bauträgerschaften teilnehmen und zu dem auch interessierte Private eingeladen sind.
Zusätzlich muss der SAW Land zur Verfügung gestellt werden. Die AL hat vorgeschlagen, dass die Stadt Zürich sich dieses mit planerischen Mitteln sichert. Das ist die mittel- und langfristige Perspektive. Kurzfristig muss ein Teil der Flächen, die für den preisgünstigen Wohnungsbau verfügbar werden, für die SAW reserviert werden.
Walter Angst ist AL-Gemeinderat, Stadtratskandidat und Leiter Kommunikation des Mieterinnen- und Mieterverbandes Zürich.
Die AL-Gemeinderatsfraktion hat zusammen mit SP, Grünen und EVP detaillierte Auskünfte über die Probleme der SAW verlangt und die Forderung gestellt, die Aufhebung der Angemeldetenliste rückgängig zu machen. Im Gemeinderat wird es voraussichtlich am 14. Juli eine grosse Debatte zum Wohnen im Alter geben.
Postulat
Sistierung der Löschung der Warteliste und Verzicht auf die Einführung des neuen Vermietungsprozesses sowie rasche Erweiterung des Wohnungsangebots https://www.gemeinderat-zuerich.ch/geschaefte/detailansicht-geschaeft?gId=b683bcd5-5541-46ff-b186-453969ec5c63
Interpellation
Aufhebung der Warteliste der Stiftung Alterswohnungen, Angaben zum bisherigen Vermietungssystem, der Bedarfsplanung der Stiftung sowie zur Fachstelle «Wohnen im Alter»: https://www.gemeinderat-zuerich.ch/geschaefte/detailansicht-geschaeft?gId=73aa666d-f74f-4dec-ae44-2f051ea5d34d