Eine grosse Mehrheit der städtischen Bevölkerung und des Parlaments fordert die Zuverlässigkeit, Sicherheit und Durchgängigkeit von Veloinfrastruktur seit Jahren. Es kann nicht sein, dass diese Faktoren nur ein Mal im Monat, nämlich dann, wenn sich die Critical Mass-Bewegung trifft, garantiert werden können. Die Bewegung zeigt ausserdem: Können sich Velofahrer*innen sicher fortbewegen, ist mit höherem Velo-Verkehrsaufkommen zu rechnen. Bekennt sich Zürich zur Velostadt, was sie seit Jahren tut, und baut sie folglich die Stadt entsprechend um, muss sie dies im Sinne des Langsamverkehrs grosszügig tun. Von Halbpatzigkeiten wird abgeraten.
Verkehrswende und Umverteilung
Um dem ökologisch und ökonomisch effizientesten Verkehrsmittel, dem Velo, optimale Bedingungen zu verschaffen, ohne den freien Fussverkehr und den ÖV zu behindern, ist eine Neuverteilung des öffentlichen Raumes und damit der Strassen zu Ungunsten des unökologischsten, überproportional viel Raum und Ressourcen verbrauchenden Fahrzeugs, des Personenwagens, unabdingbar. Angesichts der Herausforderungen, denen wir uns durch die Verdichtung, durch den fortschreitenden Klimawandel und die Erwärmung der Stadt stellen müssen, ist ein Narr, eine Närrin, wer stur auf den alten Gegebenheiten beharrt. Logisch weitergedacht, müssen wir uns deshalb auch vom «Historischen Parkplatzkompromiss», so poetisch er auch klingen mag, hier und heute verabschieden.
Tempo 30 und Lärmschutz
Zürich ist in allererster Linie eine Stadt, in der gewohnt wird. Treffen die Verdichtungsszenarien ein, wird die Wohnbevölkerung noch zunehmen. Wer hier wohnt, schläft bekanntlich auch, geht zur Schule, verbringt hier idealerweise auch seinen/ihren Altersabend. Rund ein Viertel unserer Wohnbevölkerung leidet heute unter Strassenlärm.
Dass Lärm gesundheitliche Folgen hat, wurde in etlichen Studien nachgewiesen. Dass Tempo 30 ein probates Mittel dagegen ist, ebenso. Tempo 30 bekämpft den Lärm getreu dem Gesetz an der Quelle. Tempo 30 bietet sich als primäre Massnahme an, weil keine negativen Auswirkungen bekannt sind. Ganz im Gegenteil bringt Tempo 30 auch hinsichtlich der Sicherheit, Schadstoff- und Feinstaubbelastung sowie des Platzbedarfs zahlreiche weitere spür- und messbare Vorteile. Nur Zyniker*innen, häufig wohnhaft an privilegierten Lagen, deklarieren immer wieder, Strassenlärm mache das pulsierende Stadtleben gerade erst aus und wer dem nicht gewachsen sei, solle halt aufs Land ziehen.
Stadt der kurzen Wege
Die Quartiere sind die lebendigen Zellen unserer Stadt. In ihnen findet das städtische Zusammenleben statt, hier wirkt das lokale Gewerbe. Die Richtpläne sind darauf angelegt, die Quartierzentren zu stärken, damit tägliche Erledigungen für eine grosse Mehrheit zu Fuss gemacht werden können. Eine selbständige Alltagsmobilität sichert die persönliche Unabhängigkeit und idealerweise die gesellschaftliche Teilhabe durch sämtliche Schichten und Demografien. Nicht zuletzt entspricht eine Stadt der kurzen Wege einem zeitgemässen Umgang mit den knappen Ressourcen Zeit, Platz und Umwelt und korrigiert die zentralistische Ausrichtung auf das Stadtzentrum.
Achtung Diskrepanz!
Der Umgang mit Mobilität und Verkehr, wie wir ihn im Verkehrsrichtplan festsetzen wollen, kann nur Hand in Hand mit einem ausreichenden Angebot an preisgünstigen Wohnungen erfolgen. Deshalb machte es ursprünglich auch Sinn, die beiden Richtpläne als Gesamtwerk zu behandeln. Im Siedlungsrichtplan wurde jedoch die Chance verpasst, offensiv Pflöcke einzuschlagen.
So eröffnet sich uns nun auch hier eine Diskrepanz der gesellschaftlichen Dimension: Einerseits zwingen wir viele, die in systemrelevanten Berufen arbeiten (Reinigung, Detailhandel, Gesundheits- und Betreuungspersonal, Arbeitende, die Schichtarbeit erledigen usw.) aus der Stadt, weil es nicht genügend günstige Wohnungen gibt. Andererseits werden wir genau ihnen, die häufig auf ein Auto angewiesen sind, den Zugang zur Stadt erschweren.
Einerseits ist auf Dauer nur eine verkehrs- und lärmberuhigte, parkplatzarme und insgesamt “grünere” Stadt denkbar. Andererseits folgt den Aufwertungsmassnahmen die Verteuerung der Mieten wie das Amen in der Kirche, wenn private Immobilienbesitzer Morgenluft und damit die grosse Rendite riechen, ihre Häuser umnutzen, aushöhlen oder ersetzen und dadurch nicht nur Teile der Bevölkerung aus der Stadt treiben, sondern auch noch Quartierleben zerstören.
Es ist das alte Lied …
Nach wie vor will die Stadt der Immo-Branche nicht ins Handwerk pfuschen, und wenn, dann nur pädagogisch sanft, was uns alle, die wir heute und am Freitag an einer klimafreundlicheren, fussgänger- und velofreundlicheren und hitzemindernden Stadt herumfeilen, auch zu Handlanger*innen dieser Branche macht. Das sollte gerade die links-grüne Mehrheit in diesem Parlament im Hinterkopf behalten.