“Wenn wir die Bildungschancen tatsächlich für alle erhöhen wollen, dann müssen wir in der Volksschule ein ganz anderes, brennendes Problem angehen, das der integrativen Schule. Aber wir reden über Mittagsbetreuung und investieren in feuerlöschende sonderpädagogische Massnahmen.” – schreibt Olivia Romanelli in der “Meh Biss”-Kolumne in der P.S.-Zeitung vom 21. Mai 2021.
Am 14. April 2021 wurde die Weisung des Stadtrats zur Tagesschule dem Gemeinderat überwiesen. Viele Eltern freuen sich seit langem darauf. Tagesschule! Das klingt doch gut, das klingt nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Doch was verspricht die Vorlage zur Tagesschule nun und was hält sie?
Die Ziele der Tagesschule werden mit einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Erhöhung der Bildungschancen sowie mit ihrer Wirtschaftlichkeit angepriesen.
Wirtschaftlichkeit. Offensichtlich ist sie hier das die treibende Element. Der heutige Betrieb würde mit den stetig steigenden Kinderzahlen im Hort zu teuer. Eine Reorganisation der Mittagsbetreuung ergibt in erster Linie aus wirtschaftlicher Sicht Sinn. Die Weisung sieht einen Abbau beim ausgebildeten Personal (FaBe) vor, das durch billigere, ungelernte Arbeitskräfte ersetzt werden soll. Dadurch lassen sich die Lohnkosten reduzieren. Das Ziel liegt nicht in einer optimalen Betreuung der Kinder, sondern in einer günstigen Unterbringung, damit ihre Eltern oft arbeiten gehen und dadurch wirtschaftlichen Nutzen für die Stadt generieren.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Welche Vorteile bringt nun die Tagesschule für die Eltern? In der Regel werden Geschwister an den gleichen Tagen Nachmittagsunterricht haben. Die Formulierung «in der Regel» unterstreicht jedoch auch gleich die Ausnahme. Die Mittagsbetreuung mit dem Mittagessen fällt mit 9 Fr. relativ günstig aus, doch natürlich steht es den Eltern weiterhin frei, sich selbst zu organisieren und die Kinder für die Mittage abzumelden. Worin besteht der grosse Unterschied zu heute?
Erhöhung der Bildungschancen. Glaubt das Schuldepartement tatsächlich, man könne die Bildungschancen mit einer zeitlich, räumlich und personell auf ein Minimum reduzierten Mittagsbetreuung erhöhen? Es wird suggeriert, die Tagesschule könne damit, und mit einer halben Stunde Aufgabenhilfe in einer grossen Gruppe, einen wesentlichen Beitrag leisten. Im Schlussbericht der Begleitstudie des Pilotprojekts für die Tagesschule 2025 wurde die Erhöhung der Bildungschancen mit keinem Wort erwähnt, denn sie spielte keine Rolle. In der Weisung wird sie dennoch als Ziel genannt.
Wenn wir die Bildungschancen tatsächlich für alle erhöhen wollen, dann müssen wir in der Volksschule ein ganz anderes, brennendes Problem angehen, das der integrativen Schule. Aber wir reden über Mittagsbetreuung und investieren in feuerlöschende sonderpädagogische Massnahmen.
Unser integratives Schulsystem versagt, weil wir wider besseres Wissen darauf verzichten, die bekannten Voraussetzungen für eine erfolgreiche integrative Schule umzusetzen. Anstatt die Norm breiter zu stecken, wird sie enger, sodass viele Kinder den Anforderungen nicht mehr genügen und sonderpädagogische Unterstützung benötigen.
In welchem Alter lernen Kinder das Laufen und Sprechen? Menschen entwickeln sich unterschiedlich, und das über ihr ganzes Leben. In der Schule lösen alle Kinder am selben Tag die gleiche Prüfung. Sie bekommen dafür gleichlang Zeit und werden mit einer Zahl benotet. Solange wir auf ein Schulsystem setzen, das alle in dieser Art gleich behandelt, so lange verhindern wir Bildungschancen und eine inklusive Gesellschaft. Diese Tagesschule wird daran nichts ändern.