Heute wird Mischa Schiwow erster Gemeinderatspräsident der AL Zürich. Wie es soweit kam, erzählt er uns im Interview mit Fraktionspräsident Andreas Kirstein. Auszug aus dem aktuellen AL Info.
Lieber Mischa. Du wirst am 19. Mai zum ersten Gemeinderatspräsidenten der AL gewählt. Was bewegt dich gerade, wenn du an dieses Datum denkst?
Es ist aufregend, umso mehr, als ich mir vor fünf Jahren nicht einmal vorstellen konnte, dem Gemeinderat anzugehören, geschweige denn ihn einmal zu präsidieren. Anderseits ist nun klar, dass das geplante Fest nun doch nicht stattfinden wird. Leider mussten wir es absagen. Ich hätte die Wahl gerne im Kreis derjenigen gefeiert, die mir nahestehen, also meinen Mitstreiter*innen von der AL und den Menschen aus dem Quartier, mit denen ich für den Erhalt von bezahlbaren Wohnungen kämpfe.
Welchen Einfluss kannst Du als Präsident auf den städtischen Politikbetrieb nehmen?
Der Spielraum des Gemeinderatspräsidenten ist relativ klein: Er bereitet mit dem Büro, in dem alle Fraktionen vertreten sind, die Geschäfte vor und leitet die Ratssitzungen. Dazu kommen repräsentative Aufgaben, welche stark von der Entwicklung der Corona-Pandemie abhängen werden. Bestimmt werde ich eher an der Spitze des 1. Mai-Umzugs anzutreffen sein als am Sechseläuten. Im Rat ist es mir ein Anliegen, dass Diskussionen kontrovers geführt werden können. Aber mit allem Respekt jenen Mitmenschen gegenüber, die im Rat nicht vertreten sind, zum Beispiel Stadtbewohner*innen, die kein Stimmrecht haben. Sie werden in den Voten von ganz Rechts immer wieder verunglimpft.
Beschreib doch den Leser*innen Deinen politischen Werdegang! Was hat Dich zum Amt des höchsten Stadtzürchers geführt?
Deine Frage hört sich an, als hätte ich dieses Amt angestrebt. Es ist, wie gesagt, eher der Zufall, der mich nach dem Rücktritt von Corinne Schäfli in den Rat gebracht hat, und die Bereitschaft der AL-Fraktion, mich für dieses Amt zu portieren. Was hingegen kein Zufall ist, sind meine politischen Ansichten. Die wurden mir gewissermassen in die Wiege gelegt. Ich komme aus einer Familie, in welcher die Herzen immer links geschlagen haben. Die Sowjetunion, die den Faschismus bezwungen hat, die Überzeugung, dass das Wort Sozialismus für Überwindung der Ausbeutung und für Freiheit steht – das war in meinen Jugendjahren prägend. Auch wenn sich diese Ideale als komplexer und kontrastreicher herausgestellt haben, als ich damals dachte, bleibe ich dem humanistischen Gedankengut und dem Streben nach Emanzipation treu.
Du hast lange in Frankreich gelebt. Warst Du da auch politisch aktiv?
1982 ging ich nach Paris um zu studieren. Mitterrand hatte ein Jahr zuvor die Wahlen gewonnen, vier kommunistische Minister waren in der Regierung. Als Student schlug mir die neoliberale Wende entgegen. Die grossen Ideale der «Lendemains qui chantent» waren damals ausgeträumt. Es gab 1986 eine starke Student*- innenbewegung, die ein Numerus Clausus-Gesetz der Chirac-Regierung zu Fall brachte. Ich war in der Soli-Arbeit mit Palästina aktiv, organisierte Ferienaufenthalte für Kinder aus den Flüchtlingscamps. Später war ich als Leiter eines Kulturzentrums in einer links regierten Vorstadt kulturpolitisch aktiv. Zu den schönsten Erinnerungen aus meinen Frankreichjahren zählen die Kontakte beim Verkauf der Zeitschrift «Humanité Dimanche» auf dem Sonntagsmarkt.
Und zurück in Zürich bist Du der AL beigetreten …
Ich bin 1998 nach Zürich zurückgekehrt. Neben meinen Aufgaben als Direktor der Promotionsstelle des Schweizer Films und meiner Familie hatte ich wenig Zeit, mich politisch zu betätigen. Ich fühlte mich der AL immer schon nahe und kandidierte für sie regelmässig im Wahlkreis 7/8, auch mit geringer Aussicht, gewählt zu werden. Die Offenheit der in der AL geführten Debatten, ihr unermüdlicher Einsatz für demokratische Rechte und für all jene ohne Stimme überzeugen mich weiterhin.