Der Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, die direkten Treibhausgasemissionen bis 2040 auf Null zu reduzieren. Der Antrag stützt sich auf umfangreiche Grundlagenarbeiten, die in den letzten anderthalb Jahren erstellt worden sind.
Keine Klimagerechtigkeit ohne starke flankierende Massnahmen
Im Gegensatz zu Bund und Kanton stellt der Stadtrat sehr ehrlich dar, wer die Hauptlast der Bewältigung der Klimakrise tragen muss: die «vulnerablen Bevölkerungsschichten, welche die erforderlichen Investitionen, zum Beispiel in den Ersatz eines Fahrzeugs, in diesem kurzen Zeitraum kaum leisten können», und die Mieter*innen auf dem privaten Wohnungsmarkt. Zu Letzterem hat der Stadtrat den Vertiefungsbericht «NettoNull Treibhausgase in der Stadt Zürich: Auswirkungen auf Mieterinnen und Mieter» erstellen lassen (Infras 2021). Er ist offenbar so explosiv, dass er im Gegensatz zu allen anderen Berichten erst heute veröffentlicht wird.
25’000 Wohnungskündigungen bis 2040?
Die Fakten: Ohne weitere Klima-Massnahmen im Gebäudebereich würde bis 2040 jede dritte Mietwohnung instandgesetzt, modernisiert, erweitert oder abgerissen. Erhebungen von Statistik Stadt Zürichi belegen, dass auf dem privaten Markt zwischen 2008 und 2016 37 Prozent dieser Wohnungen leergekündigt wurden, mit steigender Tendenz: Von 2008 bis 2010 25%, von 2011 bis 2013 31% und von 2014 bis 2016 bereits 46%. Extrapoliert man diese Daten, ist damit zu rechnen, dass die Leerkündigungsrate auf über 50% steigt und die Zahl der Miethaushalte, die pro Jahr die Kündigung erhalten, deutlich steigt.
Klimaschutz braucht Mieter*innenschutz
Mit den Klimamassnahmen will der Stadtrat die Anreize für Sanierungen im Gebäudebe-reich erhöhen: Bis zu 50 Prozent der Kosten sollen durch Beiträge der öffentlichen Hand finanziert werden. Gemäss Infras soll damit erreicht werden, dass bis 2040 nicht jede dritte, sondern jede zweite Wohnung umgebaut oder abgebrochen und die Kündigungsrate pro Jahr auf 2’000 Wohnungen steigen könnte.
Im überhitzten Zürcher Wohnungsmarkt werden Subventionen die Rendite der Hauseigentümer*innen, die ihre Häuser leerkündigen, direkt erhöhen. Es werden in grossem Stil klassische Mitnahmeeffekte ausgelöst. Deshalb will der Stadtrat flankierende Massnahmen ergreifen. Man denkt über «die Einführung neuer Unterstützungsleistungen zugunsten der von steigenden Mietzinsen besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen» nach. Man will «Anreize […] setzen, dass wo immer möglich und sinnvoll keine Leerkündigun-gen und auch keine anschliessende Vermietung zu deutlich höheren Marktpreisen oder sonstige unzulässige Mietzinserhöhungen erfolgen». Und man will dafür sorgen, dass die «Transformation im Gebäudebereich […] – wo immer möglich – im Rahmen von energetischen Erneuerungen im Bestand erfolgen» wird. Das hört sich alles viel zu nebulös an.
Preisreduktion für Energiedienstleistungen
Konkretes für Mieter*innen hat der Stadtrat im Moment erst bei den Heiz- und Nebenkosten zu vermelden. Er will die «Rendite-Vorgaben und Kapitalzinsen städtischer oder stadtnaher Energiedienstleister» überprüfen und gegebenenfalls anpassen, «um Zielkonflikte zwischen Kapitalertrag und ökologischer Wärmeerzeugung von Verbundlösungen zu vermeiden.» Konkret: ERZ, ewz und Energie 360 Grad sollen mit Fernwärme und Energie-Contracting keine Gewinne machen und so dafür sorgen, dass in Bestandsliegenschaften die Heiz- und Nebenkosten wegen dem Heizungsersatz nicht erhöht wer-den.
Noch besser wäre, wenn der Stadtrat einen Schritt weiter gehen würde, indem er die in der Stadt Zürich angebotenen Energiedienstleistungen aus einer Hand und von einem einzigen städtischen Anbieter erbringt. Das Wirrwarr zwischen ERZ, ewz und Energie 360 Grad kann mit der Teil-Rekommunalisierung von Energie 360 Grad und der Integration der ERZ- und ewz-Abteilungen aufgelöst werden. So wären auch Finanzierungsfragen einfacher zu klären.
Bedarfsnachweis für Kündigung und Ersatzneubau
Richtig mutig wäre der Stadtrat, wenn er ernst nehmen würde, was im Grundlagenbericht «Netto-Null Treibhausgasemissionen Stadt Zürich» (Infras & Quantis, 2020) steht: «Um die Gesamtemissionen maximal zu senken, müssten in der Stadt Zürich Gebäudeflächen ab sofort (d.h. ab 2020) nur noch dann ersetzt und zugebaut werden, wenn das zwingend nötig ist (z.B. zur Erweiterung von Heim- oder Spitalflächen, Schulen etc.), d.h. Ersatzneubauten und Neubauten (v.a. von Wohn- und Bürobauten) würden vorerst auf das absolute Minimum reduziert.» Die Expert*innen haben als mögliche Politikmassnahme die Einführung eines Bedarfsnachweises für Ersatzneubauten im kantonalen Planungs- und Baugesetz angeregt. Selbstverständlich fällt dies in die Kompetenz des Kantons.
Damit und mit der Bindung städtischer Subventionen für Gebäudesanierungen an die Pflicht, bestehende Mietverhältnisse nicht zu kündigen, gelänge ein Befreiungsschlag, der Klimaschutz und Klimagerechtigkeit in einem ersten Schritt im Teilbereich «Gebäudeprogramm Stadt Zürich» miteinander versöhnen würde.
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