Ein Plan und kein Wille: Der im Gemeinderat ausgehandelte Richtplan für die Stadt Zürich ist nicht schlecht. Er hat aber eine grosse Leerstelle. Die “Meh Biss”-Kolumne von Walter Angst im P.S. vom 16. April 2021.
Die Stadt Zürich hat einen kommunalen Richtplan. Das ist gut so. Jetzt kann über Stadtplanung diskutiert werden. Und das Parlament kann Weichen stellen.
Der im Gemeinderat ausgehandelte Plan für die Stadt Zürich ist nicht schlecht. Er hat aber eine grosse Leerstelle. Das Netz zum Schutz der Menschen in Altstetten, Leimbach, Witikon, Oerlikon und auf dem Milchbuck, die wegen der baulichen Verdichtung mit der Wohnungskündigung rechnen müssen, ist nicht aufgespannt worden.
Wohlverstanden: Anders als Wien und zum Teil auch Genf oder Basel verfügt die Stadt Zürich nicht über griffige raumplanerische Instrumente, um die bauliche Erneuerung zu steuern. In Zürich achten die Zentralen der Immobilienkonzerne wachsam darüber, dass die Planungsrechte der Gemeinden eingeschränkt bleiben.
Doch auch in Zürich ist der Einfluss der Öffentlichkeit nicht auf Grundstücke beschränkt, die der öffentlichen Hand gehören. Wenn grossflächig um- oder aufgezont wird, wie das der Richtplan vorsieht, kann die Kommune auch auf privaten Flächen gestalten. Ursula Koch hat vorgemacht, wie das geht.
Dass die beschleunigte bauliche Erneuerung zu «grossflächigen Verdrängungs- und Entmischungsprozessen» führt, ist bekannt. Der Bildungsforscher Oliver Dlabac hat dazu Zahlen für den Schulkreis Limmattal vorgelegt. Zwischen 1999 und 2001 lag der Anteil der in die Sek B eingeteilten Schüler*innen bei 50, 2015 bis 2017 bei 44 und 2017 bis 2019 bei 35 Prozent. Und das obwohl in diesem Schulkreis der Anteil an kommunalen und gemeinnützigen Wohnbauten so hoch ist wie sonst nur am Friesenberg oder in Schwamendingen.
Es wäre schön, wenn dieser Wandel auf eine rasant wachsende Bildungsqualität zurückzuführen wäre. Realität ist, dass Sanierung und Ersatzneubau Ursache der tektonischen Verschiebung sind. Offene Frage ist nur, in welchem Ausmass die Erneuerung des gemeinnützigen Wohnungsbestandes zur Verschiebung der sozialen Struktur beiträgt.
Es gibt zwei planerische Instrumente, die Verdrängung einzuschränken, ohne die bauliche Erneuerung zu stoppen. Um planerische Gestaltungsmöglichkeit zurückzugewinnen, muss zum einen der extensive Ausnützungsbonus zurückgenommen werden, den die Stadt Eigentümer*innen grosser Areale gewährt. Zum anderen muss die Erweiterung von Nutzungsmöglichkeiten für grosse Grundstücke an Pflichten gebunden werden, die in einem Gestaltungsplan festzulegen sind.
Was muss der Inhalt dieser Pflichten sein? Grossgrundbesitzer*innen müssen einen hohen Mindestanteil an preisgünstigen Wohnungen erstellen, die 2000 statt 3000 Franken kosten (remember Noigass). Und sie müssen angehalten werden, einen Teil ihres Wohnungsbestandes zu erhalten, damit es weiterhin Wohnungen gibt, die nicht mehr als 1500 Franken kosten.
Letzteres ist übrigens auch zwingend, wenn man die Erneuerung des Gebäudeparks nachhaltig gestalten will. Der Abbruch- und Neubau eines Hauses ist eine CO2-Schleuder. Das sagt auch der Expertenbericht zur Netto-Null-Strategie der Stadt Zürich. In diesem wird angeregt, dass der kantonale Baudirektor Martin Neukom die Baugesetze mit einem «Bedarfsnachweis für Neubauten» ergänzt.
Diese Themen waren Gegenstand der ausgedehnten, von den Medien aber nicht rezipierten Gemeinderatsdebatte zur «sozialverträglichen räumlichen Entwicklung». Sie lief nach einfachem Muster. Die AL stellte einen Antrag. Die FDP schrie «Enteignung» und «Eigentumsbeschränkung». Die GLP gab ihrer Befürchtung Ausdruck, dass weniger Wohnungen für grünliberale Wähler*innen gebaut werden. Die Grünen stimmten stillschweigend zu. Und die SP? Sie sagte «Ihr habt zwar Recht, aber…».
Der Richtplan war eine Chance. Sie wurde verpasst. Liebe SP, wir müssen reden, und nicht nur das.
Die Meh Biss Kolumne von Wädi Angst im P.S. vom 16. April 2021 als PDF