Seit Richi Wolff vor 3 Jahren das Tiefbauamt übernommen und wieder mit dem notwendigen Personal bestückt hat, kommt endlich eine neue Verkehrspolitik zugunsten des Langsamverkehrs ins Rollen. Jahrzehntelang befand sich die umweltgerechte Verkehrspolitik im Dornröschenschlaf, trotz linker Mehrheit im Stadtrat und trotz konstanten Forderungen nach mehr Veloinfrastruktur.
Ungeduldig warten wir nun auf das Veloroutennetz des Stadtrats, das im September mit der Annahme der Velorouteninitiative gefordert wurde. Bereits hat das Tiefbauamt mit der beschleunigten Umsetzung des Velonetzes begonnen. Statt wie bisher nur im Rahmen von Bauprojekten, werden mit Sofortmassnahmen Expressprojekte umgesetzt, beispielsweise an der Baslerstrasse. Verglichen mit der Velopolitik der vergangenen Jahrzehnte kommt dies einem Senkrechtstart gleich.
Sofortmassnahmen genügen aber nicht. Es braucht sichere und attraktive Velorouten: Breit und ohne Motorfahrzeuge (ausgenommen Zubringer und Anwohnende). Velorouten, die mit grossen, weissen Velopiktogrammen deutlich signalisieren, dass die wenigen berechtigten Autos auf dieser Strasse zu Gast sind. Velorouten, die ihren Namen verdienen. Nicht Velostreifen.
Auch auf verkehrsreichen Strassen muss, wie vom TAZ angekündigt, der Strassenraum von aussen nach innen geplant werden. Beginnend mit breiten Trottoirs nach Fussverkehr-Standards, daneben mindestens 1.8 Meter breite Velowege. Dort, wo in Zukunft viel Veloverkehr erwartet wird, werden grössere Breiten benötigt.
Viele der verkehrsreichsten Abschnitte sind kantonale Strassen, auf denen der Artikel 104 der Kantonsverfassung aus dem Jahr 2017 zum Tragen kommt. Der sogenannte «Anti-Schlau-Artikel» verbietet Änderungen kantonaler Strassen, zum Beispiel durch einen Abbau von Fahrspuren, welche die Kapazität für den Autoverkehr vermindern. Doch «so absolut, wie der ergänzte Artikel in der Verfassung steht, ist er nicht. Er birgt ganz viel Konfliktstoff mit gleichrangigem und übergeordnetem Recht.» Wirklich geprüft worden sei er bis anhin nicht, wurde Richi Wolff vor einem Jahr vom Tagesanzeiger im Zusammenhang mit dem Spurabbau an der Rosengartenstrasse zitiert. Gleiches gilt für die Bellerivestrasse. Wann wird der Krisengipfel zur Mobilitätswende mit Stadtrat und Regierungsrat einberufen?
Und Tempo 30? Wir warten ungeduldig auf die nächsten Etappen der Einführung, zum Schutz der Bevölkerung vor krankmachendem Lärm, den die Lärmschutzverordnung des Bundes seit drei Jahren verlangt. Viele dieser verkehrsreichen und lärmbelasteten Abschnitte liegen ebenso auf kantonalen Strassen.
Und dann gibt es noch die Frage mit dem öffentlichen Verkehr und Tempo 30. Als öV-Fahrerin, die täglich jene besonders lange öV-Strecke benutzt, wo der 72er nun mit Tempo 30 statt 50 unterwegs ist, kann ich Ihnen versichern, dass die um Sekunden längere Fahrt den öV nicht unattraktiver macht. Nervig ist die Verspätung durch den Stau. Tempo 30 ist nicht das Problem, sondern Pendler*innen in Autos. Die VBZ nimmt die Verkehrsmenge als gottgegeben an und hält an Tempo 50 fest.
Nach jahrelangem Ringen um Lärmsanierungsmassnahmen, darf man wohl auf einen baldigen Beschluss des Stadtrats zugunsten von Tempo 30 hoffen, auch wenn dabei im Gremium etwas Dysharmonie aufkommen sollte.
Olivia Romanelli und Walter Angst: Ein Krisengipfel für die Mobilitäts (P.S. vom 19. März 2021)