Corona- und Klimakrise sind Zeichen einer Krise der Weltgesellschaft und ihrer Ordnung. Damit steigt das Interesse an neuen Zukunftsbildern. Dieses Interesse kollidiert mit dem Niedergang einer Linken in Westeuropa, die im Nachgang zu 1968 und 1980 auf gesplittete Diskurse und Abkehr von den Themen der Mehrheitsbevölkerung gesetzt hat. Eine erneuerte Linke muss ein Zukunftsbild von Gesellschaft und Weltwirtschaft entwickeln, das auf den Erfahrungen der feministischen und weiterer emanzipatorischer Bewegungen aufbaut. Die Linke tut dabei gut daran, den gerissenen Faden mit der Geschichte der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen wieder zu knüpfen und die soziale Frage mit Feminismus, Antirassismus und Diversity in einer neuen Utopie zusammenzudenken.
Keine linke Partei in der Schweiz bietet zurzeit ein stimmiges Programm oder gar eine kohärente Weltanschauung, die auf die Fragen der krisenverängstigten Bevölkerung eine glaubwürdige Antwort gibt. Am einfachsten hat es sich dabei die AL gemacht, die ihre Theorielosigkeit zum Programm einer aus der Discobewegung der 1980er-Jahre entstandenen Protestbewegung gemacht hat. Mit ihrer radikalen Praxis und flachen Strukturen bietet sie im Gegenzug immerhin eine attraktive politische Tagesstruktur.
Systemwechsel
Das Hashtag #systemchange steht für eine Ahnung der Klimajugend, dass mit den Antworten der Vergangenheit die Fragen der Zukunft nicht mehr zu lösen sind. Die Corona- und die Klimakrise verstärken in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht nur in der bewegten Klimajugend die Ahnung, dass uns bei Strafe des Untergangs ein paar grössere Entscheidungen bevorstehen. Dank umfassendem Informationszugang weiss die Mehrheit der Bevölkerung heute, dass wir dank technischem Fortschritt ohne grössere Probleme der gesamten Weltbevölkerung einen bescheidenen Wohlstand ohne Hunger und Not organisieren könnten, auch ohne gleichzeitig unseren Planeten zu zerstören. Die westliche Mehrheitsbevölkerung ahnt aber auch, dass dies nur mit einem radikalen Wechsel der eigenen Lebensweise einhergehen kann. Wir ändern unser Verhalten und unsere politische Präferenz unter drei Bedingungen: Erstens, die Veränderung scheint uns unabänderlich und zweitens, es gibt eine Alternative, die eine grössere Attraktivität als die Gefahr aufweist. Drittens wollen wir Sicherheit, dass alle mitmachen und sich nicht zum Beispiel eine kleine reiche Elite auf Kosten unseres Verzichtes weiterhin ein Leben in Saus und Braus gönnt.
Damit sind die Hausaufgaben der Linken beschrieben. Sie muss erstens aufweisen, dass die heutige Lebensweise mit dem Untergang der Menschheit enden wird. Hier sind die Karten mit Corona und globaler Erwärmung leider gut gemischt. Zweitens muss sie der Bevölkerung eine Skizze der neuen Gesellschaft und des neuen Wirtschaftens anbieten, die verbürgt, dass die Krise überwunden wird und dabei nicht schlechter ist als die drohende Gefahr. Dass dies ein modernisierter Sozialismus sein wird, liegt in der Natur der Sache und ist sicher ein Handicap angesichts bisheriger sozialistischer Gehversuche. Und drittens muss die Linke der Bevölkerung glaubhaft vermitteln können, dass sie bereit ist, einen kompromisslosen Klassenkampf zu führen. Niemand gibt freiwillig seinen bisherigen Lebensstil auf, wenn er oder sie befürchten muss, dass oben die Party weitergeht. Schliesslich wollen die Leute auch nicht von anderen, linken Bonzen geführt werden, sondern sie wollen gar keine Bonzen mehr, wenn sie schon nicht mehr jedes Jahr nach Mallorca fliegen dürfen.