Immer wenn es im Zürcher Gemeinderat um Beiträge an kulturelle Institutionen geht, stimmt die Ratsmehrheit einem wirtschaftsliberalen, kulturfeindlichen Kürzungspassus zu. Dieser verlangt, dass – falls das Eigenkapital der Stadt Zürich unter 100`000 Franken fallen sollte – die Subventionen an Kulturinstitutionen um 1% im ersten Jahr, und dann bei Bilanzfehlbeträgen jährlich aufsteigend bis 4% in den darauffolgenden Jahren, gekürzt werden.
In keinem anderen Bereich gibt es solche oder ähnliche Klauseln. Gespart werden soll also zuallererst bei Kunst und Kultur.
Warum erreicht eine solch neoliberale Regelung im rot-grün dominierten Gemeinderat überhaupt eine Mehrheit? Die Antwort ist so einfach wie irritierend: Die SP stimmt in dieser Frage geschlossen mit Wirtschaftsliberalen und Rechtsaussen. Die Einzigen, die sich dagegen wehren, sind AL und Grüne. Leider immer vergeblich, der Widerstand verkommt zu einem Ritual, die SP bleibt stoisch auf ihrer Linie.
Trauerspiel
Dieses traurige Kapitel im Sammelband realpolitischer Irrwege ist auf einen Deal zurückzuführen, den die SP mit den Rechten in der letzten Legislaturperiode geschlossen hat. Damals war die Mehrheit im Zürcher Gemeinderat noch rechts bis ultrarechts. Ziel des Deals war offenbar, weit massivere Kürzungen bei Kunst und Kultur im Falle eines Finanzfehlbetrags der Stadt Zürich zu verhindern, Die Rede ist von Kürzungen bis zu 10%, die die Rechten durchsetzen wollten.
In den letzten Jahren war ein möglicher Finanzfehlbetrag der Stadt Zürich kein Thema, die Stadt stand finanziell glänzend da. Und ganz offensichtlich auch kein Thema war innerhalb der Zürcher Sozialdemokratie eine selbstkritische Betrachtung dieses vor Jahren geschlossenen Deals. Manche reden lieber von einem Kompromiss, aber das macht es keineswegs besser, denn es ist ein fauler. Er moderte lange vor sich hin, und jetzt beginnt er durch die Ritzen der Wohlstandsblase hindurch mächtig zu stinken.
Die fetten Jahre sind vorbei
Jetzt kommen magere Jahre auf uns zu, nicht nur wegen der momentan alles beherrschenden Pandemie, sondern auch und zu einem grossen Anteil wegen der Folgen der im letzten Jahr auf Bundesebene angenommenen Unternehmenssteuerreform SV 17 (genau, die mit dem AHV-Deal), die zusätzlich vom Kanton Zürich maximal unsozial umgesetzt wird. Ein zukünftiger Finanzfehlbetrag ist plötzlich nicht mehr im unrealistischen Bereich. Sollte es soweit kommen, wird also zuerst im Kulturbereich gespart, diskussionslos und automatisch. Die SP spielt in diesem Schmierentheater nicht nur mit, sie spielt hierbei sogar die Hauptrolle. Ohne Not. Denn sie könnte diesen unsäglichen Deal ganz einfach kippen.
Stadtpräsidentin Corine Mauch nennt im aktuellen Kulturleitbild der Stadt Zürich ihren Anspruch, einen Rahmen zu bieten, in dem sich Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturinstitutionen möglichst gut entfalten können.
Angst vor einer Kürzung der Gelder dient aber sicher nicht der möglichst guten Entfaltung. Schluss mit der prophylaktischen Bestrafung Kulturschaffender für allfällige Finanzfehlbeträge der Stadt. Liebe SP, ihr habt es in der Hand.
Patrik Maillard
Patrik Maillard: Schmierentheater? (P.S. vom 18. Dezember 2020)