Die Urheber*innen des wohnpolitischen Grundsatzartikels…
SP-Nationalrätin Jacqueline Badran war vor zehn Jahren federführend bei der Lancierung der SP-Initiative «Wohnen für alle». Der Verfasser dieser Zeilen hat als Mitglied der vorberatenden Gemeinderatskommission als Gegenvorschlag dazu den sogenannten «wohnpolitischen Grundsatzartikel» für ein Drittel gemeinnütziger Wohnungen im Jahr 2050 formuliert. Dieser wurde 2011 mit Dreiviertelsmehr angenommen und figuriert heute als Art. 2 quater in der Stadtzürcher Gemeindeordnung. Getragen wurde er in der Volksabstimmung von einer Koalition aus SP, AL, Grünen und EVP. Gegen mehr bezahlbaren Wohnraum sprachen sich damals FDP und GLP aus.
…sagen NEIN zum Planungspfusch Thurgauerstrasse
Heute sagen Jacqueline und ich beide Nein zum verunglückten Gestaltungsplan Thurgauerstrasse. Desgleichen AL, Grüne und EVP. Die SP dagegen hat sich ausgerechnet mit ihren Gegenspielern von 2011 verbündet. Einzig um zusammen mit FDP und GLP ein Prestigeprojekt ihres Hochbauvorstehers André Odermatt um jeden Preis zu retten – ein Polit-Flickwerk, das einen Rückweisungsantrag im Gemeinderat nur knapp überlebte und niemanden wirklich überzeugt. Zweckallianzen, um Mehrheiten zu gewinnen, mögen in der Politik durchaus Sinn machen. Nicht aber, wenn es ums Bauen geht. Heute geplante und erstellte Gebäude und Quartiere werden für Jahrzehnte Bestand haben. Hier kann man nicht nachjustieren. Jacqueline Badran bringt es auf den Punkt: «Gebaut ist gebaut. Bei unumkehrbaren Stadtentwicklungen auf unseren letzten Arealen sind deshalb zweitbeste Lösungen nicht gut genug.»
Genossenschafts-Dachverband wbg verweigert Ja-Parole
Unüberhörbare Kritik kommt auch vom Genossenschafts-Dachverband wohnbaugenossenschaften zürich (wbg). Dieser hat vor vier Jahren in seiner Einwendung zum Entwurf des Gestaltungsplans aus Kostengründen einen Verzicht auf die geplanten Hochhäuser gefordert, aber beim Stadtrat kein Gehör gefunden. «Unsere Vorbehalte gelten nach wie vor», sagt wbg-Geschäftsführer Reto Klink gegenüber dem Tagesanzeiger. Der wbg hat deshalb Stimmfreigabe beschlossen. Oder wie Stadtrat Daniel Leupi im P.S.-Interview erleichtert konstatiert: Der wbg, «der das Ganze kritisch begleitet hat, verhält sich nun neutral.» Nicht gerade eine tragfähige Grundlage für ein städtisches Leuchtturm-Projekt…
Rahel Marti: Es braucht Partizipation und Wettbewerb
In ihrem Artikel “Städtebau geht heute anders” legt «Hochparterre»-Redaktorin Rahel Marti den Finger auf den wunden Punkt: Der heutige Gestaltungsplan beruht auf einer Testplanung in den Hinterzimmern der Verwaltung:
«Auf den Gewinn eines kreativen gemeinschaftlichen Städtebaus wird Zürich verzichten müssen, stimmt es dem Gestaltungsplan Ende November zu. Die Kritik an der Planung ist laut. Sie gilt den Hochhäusern, die für den gemeinnützigen Wohnungsbau teuer sind, und sie gilt der städtebaulichen Form: Zu hoch, zu dicht, zu monoton. Die Nachbarschaft fühlte sich zu wenig einbezogen. Die gegenseitige Therapie heisst Partizipation: Nicht anhören, sondern teilhaben. Das kann streng und frustrierend sein, aber wer es unterlässt, dem fliegt es zurecht bald um die Ohren. Die politischen Verantwortlichen hätten es wissen müssen.
Call of Concepts stehen am Anfang eines umsichtigen Städtebaus. Er gelingt durch Diskussion, Offenheit und Vielseitigkeit, durch Widerspruch und Pragmatismus statt Ideal. Am besten in der Kombination von gesellschaftlicher Partizipation und fachlichem Wettbewerb. Eine Testplanung hinter den Türen der Fach- und Verwaltungswelt kann diese Ansprüche niemals einlösen. Sie ist ein amtsinternes Produkt – gut, solange man damit testet, zum Scheitern verurteilt, wenn man damit offizielle Gültigkeit beansprucht. Das ist aus fachlicher Sicht denn auch der wichtigste Kommentar zum Gestaltungsplan Thurgauerstrasse. In der jetzigen Form ist er abzulehnen – es braucht Partizipation und einen offenen, internationalen städtebaulichen Wettbewerb.»
Niggi Scherr
Rahel Marti: Städtebau geht heute anders (Hochparterre 20. November 2020)