Der Stadtrat hat diesen Mittwoch die Öffentlichkeit darüber informiert, wie er zukünftig die Lebenssituation von Sans-Papiers verbessern will. Das nicht unkomplexe Dilemma, wie er die Rechte dieser Menschen schützen soll, ohne gleichzeitig übergeordnetes Recht zu verletzen, beschäftigt ihn seit Jahren. Einerseits wollte (und will) er eine Lösung für die unhaltbare legale Situation von Sans-Papiers finden. Andererseits war (und ist) der Stadtrat nicht auf den Kopf gefallen: Er weiss, dass eine solche Unterstützung ihn früher oder später in Konflikt mit übergeordnetem Recht führen würde.
Gordische Knoten dieser Art können Exekutivinstanzen unterschiedlich lösen. Anders als Alexander der Grosse entschied sich der Stadtrat bisher weniger für den proaktiven als vielmehr für den diplomatischen Weg. Er setzte (und setzt) sich gegenüber Bund und Kanton für die Legalisierung der Sans-Papiers ein – mit dem uns allen bekannten Nicht-Erfolg. Und so schlief das genannte Dilemma für lange Zeit den Schlaf der Gerechten.
Der Druck der Strasse nahm jedoch in Form einer breit abgestützten Petition des Vereins «Züri City Card» zu. Es folgte eine von den linken Parteien überwiesene Motion zur Einführung dieses Ausweises, welche die Stadtregierung jedoch kategorisch ablehnte. In ihrem «Positionspapier» hielt sie fest, dass sie der aktuellen Gesetzgebung beim Vollzug des geltenden Ausländerrechts vollumfänglich folgen würde. Niemand solle sich also in seinen bzw. ihren Legalisierungsträumen zu weit vorwagen. Sollte es jemals eine «Züri City Card» geben, so werde dieser Identitätsausweis die Aufenthaltsproblematik der Sans-Papiers nicht lösen können. Gleichwohl zeigte sich der Stadtrat dazu bereit, mittels eines zweiten Gutachtens die Grenzen und Möglichkeiten einer allenfalls zukünftigen «Züri City Card» zu prüfen.
Diese etwas verhärtete Haltung in der Exekutive führte dazu, dass die AL eine komplementäre politische Strategie fuhr, die nicht nur auf die ersehnte Taube auf dem Dach abzielte, sondern konkret vom Stadtrat den Spatz in der Hand forderte.
Mit Unterstützung von SP und Grünen – und wiederum gegen den Willen des Stadtrats – wurde unsere Motion zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Sans-Papiers überwiesen. Dass sie im Frühling, obwohl die Pandemie Lösungen in diesem Bereich dringend machte, auf die lange Bank geschoben wurde, war ein weiterer stadträtlicher Dämpfer.
Allerdings gibt es noch einiges zu erreichen.
Es gilt also, in Anlehnung an Leonard Cohen:
First we take Healthcare, then we take Urban Citizenship.
Umso grösser ist die Überraschung, dass der Stadtrat nun mitteilt, die «Zürich City Card» mittelfristig einführen und mit dem geforderten Gesundheitsversorgungsprojekt 2021 anfangen zu wollen. Diese Schritte müssen als kopernikanische Wende bezeichnet werden, denn die Stadtexekutive überwindet damit ihren bisherigen migrationspolitischen Deutungsrahmen. Anstatt dem fremdenfeindlichen Integrationsgebot zu folgen, thematisiert er, wo und wie er allen Menschen in der Stadt das Recht auf ihre Rechte ermöglichen will.
Die AL ist stolz darauf, dass sie als Motor dieser stadträtlichen Entwicklung fungieren und aktiv zur materiellen Situation der Sans-Papiers beitragen konnte (und kann). Allerdings gibt es doch noch einiges zu erreichen. Es gilt also, in Anlehnung an Leonard Cohen: First we take Healthcare, then we take Urban Citizenship.
David Garcia Nuñez, Gemeinderat AL
Aus: P.S. vom 13. November 2020