Es mutet ausgesprochen befremdlich an, wenn auf der einen Seite des Heimplatzes die zu wesentlichen Teilen aus dem Gewinn von Waffengeschäften mit dem Nazi-Regime finanzierte Bührle-Sammlung in den Kunsthaus-Neubau eingeräumt wird, während im benachbarten Schauspielhaus der grosse Widerstand gegen eben dieses Nazi-Regime und die humanistische Verpflichtung, wie dies im Pfauensaal bis heute erlebbar ist, ausgeräumt werden soll.
Dass es in diesem Saal schwierig sein soll, modernes Theater überhaupt noch spielen zu können, ist eine leere Behauptung: Am Berliner Theatertreffen, sozusagen der Oscar-Verleihung im deutschsprachigen Raum, wurde die sensationelle Inszenierung von Alexander Giesche, uraufgeführt auf der Pfauenbühne, mit dem 3sat-Preis-ausgezeichnet. Sie erhielt diesen Oktober den renommierten Wiener Theaterpreis Nestroy in der Kategorie «Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum». Das sagt bereits alles.
Das Schauspielhaus verfügt über fünf Theatersäle: Die grosse Bühne und die Kammer im Pfauen und drei Säle im Schiffbau. In Zürich West. Für Aufführungen, für die der Pfauensaal nicht geeignet ist, stehen die Raumbühnen des umfassend und teuer umgebauten Schiffbaus zur Verfügung.
Ein Abbruch des Pfauensaals, der in der Nazizeit die einzige freie deutschsprachige Bühne war, stellt einen Akt der Arroganz und der kulturellen Ignoranz dar. Und er entspricht einem durch und durch technokratischen Geschichtsverständnis. Daran ändert auch die Idee nichts, die Fassade als rein potemkinschen Zierrat stehen zu lassen. Die Fassade stammt zudem aus dem 19. Jahrhundert und hat mit der Bedeutung des Schauspielhauses als weltweit einzige deutschsprachige Bühne für die während der Nazizeit verfolgten Theaterleute direkt gar nichts zu tun. Dass trotz dem Abbruch des Saals der Pfauen als «Erinnerungsort» erhalten werden könne, ist reine Augenwischerei und eine Schutzbehauptung. Die Geschichtswissenschaft mag solche Mythen kreieren, aber Bauten sind massgeblich nur dann Zeugen der Erinnerung, wenn ihr Bestand, ihre Materialisierung und ihre Raumstruktur erhalten bleiben.
Es ist unbegreiflich, dass der Stadtrat zugunsten einer heute vielleicht gerade aktuellen Aufführungspraxis diesen Saal zerstören will. In wenigen Jahren wird zweifellos wieder eine andere Spielpraxis aktuell sein, und vielleicht wünschte man sich dann den ehemaligen Raum zurück.
Und schliesslich: Der in der Medienmitteilung erwähnte Rekurs gegen die Entlassung des Gebäudes aus dem Inventar ist bei weitem nicht erledigt, ganz entgegen dem Eindruck, der beim Lesen der Medienmitteilung entstehen könnte. Der Rekurs ist ganz bewusst bereits in erster Instanz sistiert worden, um dem Stadtrat Zeit zum Prüfen der Möglichkeiten zur Erhaltung des Saales zu geben. Der Stadtrat hat auf der Variante Abbruch bestanden und will auch noch eine Motion abschreiben, die in ihrem Ursprung auf eine Renovation besteht und mit grosser Mehrheit vom Gemeinderat überwiesen wurde.
Ein Abbruch des Theatersaals kann und darf nicht zur Diskussion stehen. Darin sind sich Fachleute mit historischem Bewusstsein und Verantwortungsbewusstsein aus allen Bereichen vollständig einig.
Zürich, 18. November 2020